Mord an UnitedHealthcare-Chef befeuert Debatte über US-Krankenversicherungen

Berlin – Fünf Tage nach den tödlichen Schüssen auf den Geschäftsführer des US-amerikanischen Krankenversicherers UnitedHealthcare wurde ein Tatverdächtiger gefasst, bei dem ein Schreiben gefunden wurde, das Rückschlüsse auf dessen Motive geben könnte. Der Fall hat in den USA eine neue Debatte über die Praktiken von Versicherungsunternehmen eröffnet.
Der 26-jährige Luigi Mangione wurde im Lokal einer Fast-Food-Kette in der Stadt Altoona im Bundesstaat Pennsylvania aufgespürt, wie die Ermittlungsbehörden heute mitteilten. Ein Mitarbeiter des Lokals, das etwa fünf Autostunden von New York entfernt liegt, habe die Polizei alarmiert, nachdem ein Kunde den Mann auf Fahndungsfotos erkannt habe.
Bei der Überprüfung habe sich herausgestellt, dass er eine per 3D-Drucker hergestellte Waffe mit Schalldämpfer bei sich trug, wie sie bei dem Mord an Versicherungsmanager Brian Thompson benutzt worden sei.
Der Chef des milliardenschweren US-Versicherers UnitedHealthcare war am Mittwoch vergangener Woche nahe dem New Yorker Times Square aus nächster Nähe niedergeschossen worden und in einem Krankenhaus an seinen Verletzungen gestorben.
UnitedHealthcare ist einer der größten Krankenversicherer der USA, hat 440.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 371 Milliarden Dollar (353 Milliarden Euro). Nach eigenen Angaben versichert das Unternehmen knapp 30 Millionen Menschen in den USA.
Der von Überwachungskameras gefilmte Mord an dem 50-jährigen Geschäftsführer, der seit 2021 an der Spitze des Unternehmens stand, und die öffentliche Fahndung nach dem Täter machten weltweit Schlagzeilen. Der Schütze flüchtete zunächst auf einem Fahrrad und verschwand dann.
In den Sachen des Festgenommenen entdeckten Polizisten laut Medienberichten nun ein dreiseitiges, handgeschriebenes „Manifest“, das Hinweise auf das mögliche Motiv gebe. In dem Papier werde US-Krankenversicherungen Profitgier zum Nachteil der Patienten vorgeworfen.
„Diese Parasiten haben es verdient“, steht demnach in dem Papier, und weiter: „Ich entschuldige mich für die Unruhe und das Trauma, aber es musste getan werden.“ Der Verdächtige weise in dem Schreiben auch darauf hin, dass er allein gehandelt habe.
Schon direkt nach dem Mord waren Hinweise auf ein mögliches Motiv aufgetaucht. Auf Patronenhülsen, die am Tatort sichergestellt worden waren, standen laut Ermittlern drei Wörter: „deny“ (verweigern), „defend“ (verteidigen) und „depose“ (absetzen, stürzen oder aussagen). Dies sei möglicherweise eine Anlehnung an einen Spruch, den Versicherungskritiker benutzten, hieß es: „Delay (verzögern), deny, defend“.
Gemeint sei, dass Krankenversicherungen oftmals Zahlungen an Patienten verzögerten, Ansprüche verweigerten und ihr Vorgehen dann verteidigten, notfalls vor Gericht. Es gibt auch ein Buch mit diesem Titel, das sich mit den Praktiken der Versicherer beschäftigt.
Nach Ansicht der New York Times hat der Mord an Thompson nicht nur die Nation aufgewühlt, sondern auch „die tiefsitzende Wut der Amerikaner auf die US-Krankenversicherungsbranche“ offengelegt. So wurde der Täter von manchen Nutzern in sozialen Medien gar als eine Art „Rächer“ gefeiert.
Die Ermordung hatte im Netz auch zu einer Serie hasserfüllter Kommentare über die US-Krankenversicherer geführt. Vielen Konzernen wurde darin vorgeworfen, sich auf Kosten der Patienten zu bereichern. Einige Kommentare riefen gar zu weiteren Gewalttaten auf. Mittlerweile hat das Unternehmen die Kommentarfunktion in sozialen Netzwerken wie X, Instagram oder Facebook geschlossen.
Neben Spott und Häme über das Opfer, aber auch Beileidsbekundungen, hatten zuvor tausende Nutzerinnen und Nutzer ihre – nicht nachprüfbaren – eigenen Erfahrungen mit dem Unternehmen als Versicherte oder (ehemalige) Angestellte geteilt. Meist berichteten sie, dass das Unternehmen die Erstattung notwendiger medizinische Behandlungen oder Arzneimittel verweigert habe.
„Nachdem ich selbst für UnitedHealthcare gearbeitet habe, bin ich sehr froh, dass die Menschen endlich ihre Stimme erheben“, zitiert die US-Zeitung The Mirror aus einem der Kommentare unter dem X-Post des Unternehmens. „Ich habe gesehen, wie sie Krebspatienten lebensrettende Operationen verweigert haben. Gar nicht von all den anderen tödlichen Gesundheitsschäden zu sprechen, (deren Erstattung der Behandlung) sie verweigern.“
CNN zitiert einen anderen Nutzer, der davon berichtet, wie ihm die Erstattung einer Operation zwei Tage vor dem Eingriff verweigert worden sei. „Ich stand unter Tränen in der Buchhaltung des Krankenhauses (während ich eigentlich die vorstationären Untersuchungen hätte absolvieren sollen)“, schrieb dieser. „Meine Chirurgin hat anderthalb Tage damit verbracht, sich bei United für mich einzusetzen, während sie sich wahrscheinlich um ihre anderen Patienten hätte kümmern sollen.“ Die OP habe letztlich stattgefunden, doch der Vorgang sei „Folter“ gewesen.
Das Unternehmen stand, wie viele seiner Mitbewerber, in der Vergangenheit immer wieder nicht nur in der öffentlichen Kritik, sondern musste sich auch vor Gericht und gegenüber der Politik für seine Praktiken verantworten.
Erst im Oktober legte ein Unterausschuss des US-Senats einen Bericht vor, in dem UnitedHealthcare vorgeworfen wurde, mittels Künstlicher Intelligenz (KI) automatisiert Gründe für die Ablehnung von Erstattungen zu generieren.
Dem US-Sender Fox 4 zufolge sei demnach beispielsweise die Ablehnungsquote post-akuter Pflegeleistungen allein zwischen 2020 und 2022 von 10,9 auf 22,7 Prozent gestiegen. Vor einem Jahr war eine nach wie vor anhängige Sammelklage mit ebenjenen Vorwürfen gegen UnitedHealthcare und sein Tochterunternehmen Navi Healthcare erhoben worden.
Der Klageschrift zufolge war das Unternehmen dabei auch darüber informiert, dass die Fehlerquote des Algorithmus extrem hoch sei und bei bis zu 90 Prozent liege. Dennoch sei der Algorithmus breit eigesetzt worden, da Versicherte nur in 0,2 Prozent der Ablehnungen Widerspruch einlegen und eine eine Erstattung juristisch zu erstreiten versuchen würden.
Laut US-Medien handelt es sich bei dem nun festgenommenen Tatverdächtigen um einen jungen Mann aus einer wohlhabenden Familie, dessen Großvater in Baltimore ein Immobilien-Imperium aufgebaut habe.
Den Berichten zufolge plagten den 26-Jährigen allerdings schon seit langem wegen eines Wirbelsäulenleidens starke Rückenschmerzen. Nach einem Surf-Unfall habe er sich im vergangenen Jahr operieren lassen. Ob dies aber mit dem Mord zusammenhänge, müsse erst geklärt werden, hieß es.
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