Medizin

Multiple Sklerose: Toxin von C. perfringens als möglicher Trigger

  • Mittwoch, 29. Januar 2014
Uploaded: 29.01.2014 18:39:37 by mis
Clostridium perfringens /CDC

New York – Die ungewöhnliche Lebensmittelvergiftung einer jungen Patientin mit multipler Sklerose (MS) lässt US-Neurologen vermuten, ein Toxin von C. perfringens könnte zu den bisher unbekannten Auslösern der Autoimmunerkrankung gehören. In PLoS ONE (2013; doi: 10.1371/journal.pone.0076359) versuchen sie ihre Hypothese zu belegen.

Die MS ist eine Autoimmunerkrankung, bei der Abwehrzellen die Myelinscheiden im Zentralnervensystem zerstören. Warum das Immunsystem beginnt, körpereigenes Gewebe zu attackieren, ist wie bei den meisten anderen Autoimmunerkrankungen nicht bekannt. Als Trigger werden Umweltfaktoren vermutet, darunter immer wieder auch Krankheitserreger.

Zu den Verdächtigen gehört auch C. perfringens, ein häufiger Verursacher von Lebensmittelerkrankungen. C. perfringens kann auch Wiederkäuer infizieren. Sie erkranken manchmal an einer neurologischen Erkrankung, die der MS ähnelt. Verant­wortlich ist der Typ B des Erregers. Er bildet das im ETX-Gen kodierte Epsilon-Toxin, das die Bluthirnschranke durchdringt und die Oligodendrozyten abtötet, die im Gehirn für die Produktion von Myelin zuständig sind.

Der Typ B von C. perfringens wurde bisher allerdings niemals beim Menschen nachge­wiesen. Das Team um den Neurologen Timothy Vartanian vom Weill Cornell Medical College in New York musste deshalb stutzig werden, als das Labor eine Darm-Infektion mit dem Typ B bei einer Patientin meldete, die drei Monate zuvor den ersten Schub einer MS erlitten hatte.

Die Forscher untersuchten daraufhin Blutproben und Liquor von MS-Patienten und gesunden Kontrollen. Bei jedem zehnten MS-Patienten fanden sie Antikörper gegen das Epsilon-Toxin, in der Kontrollgruppe war es nur einer von hundert. Dass neun von zehn MS-Patienten keine Antikörper haben, spricht nach Ansicht von Vartanian nicht gegen einen Zusammenhang, da die Immunantwort auf das Toxin in der Regel sehr schwach ausfalle und deshalb oft nur zeitweise Antikörper gebildet würden.

Auf einer Tagung der American Society for Microbiology in Washington präsentierte Vartanians Mitarbeiterin Jennifer Linden weitere Hinweise. Danach konnte die MS-Patho­logie auch bei Mäusen durch die Exposition mit dem Epsilon-Toxin ausgelöst werden. Das Gift zerstörte nicht nur Endothelien (und durchbrach so die Bluthirnschranke) und Oligodendrozyten. Auch meningeale Zellen wurden angegriffen.

Dies könnte laut Linden erklären, warum die Läsionen bei der MS häufig in der Nähe der Hirnhäute auftreten. Das Team ließ auch Nahrungsmittel untersuchen. Bei 13,5 Prozent konnte C. perfringens nachgewiesen werden und 2,7 Prozent der Proben waren positiv auf das Epsilon-Toxin. Die häufige Belastung der Nahrungsmittel mit Sporen von C. perfringens ist nicht ungewöhnlich. Zu einer Nahrungsmittelvergiftung kommt es erst, wenn die Bakterien sich stark vermehren und das Toxin in größeren Mengen bilden.

Darmkeime wurden in der Vergangenheit schon öfter mit der Erkrankung in Verbindung gebracht. So war dem Neurologen John Kurtzke aufgefallen, dass es auf den Färöer-Inseln vor dem Eintreffen britischer Truppen im zweiten Weltkrieg keine MS-Erkran­kungen gegeben hatte, während sie in Schweden, Island und Dänemark relativ häufig waren. Kurtzke vermutete, dass die britischen Soldaten neue gastrointestinale Erreger eingeschleppt haben. Dies würde erklären, warum es nach dem Krieg auf den Färöer-Inseln zu einer MS-Epidemie kam.

Für einen Beweis der Hypothese reichen die vorgelegten Befunde natürlich nicht. Wenn die Hypothese allerdings zutreffen sollte, dann könnten Antikörper oder ein Impfstoff gegen C. perfringens vor einer MS schützen. Dies müsste zuerst an einem Tiermodell belegt werden. Eine Impfung von Menschen käme angesichts der niedrigen Inzidenz der MS vermutlich nicht infrage.

rme

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