Politik

Nachbesserungen am Versorgungs­strukturgesetz gefordert

  • Mittwoch, 3. August 2011

Berlin – Viel Kritik, wenig Lob – das ist das Fazit der Reaktionen auf das heute vom Kabinett beschlossene Versorgungsstrukturgesetz (VStG). Kritik an dem Regelwerk kam von den Krankenkassen, Arbeitgebern und Gewerkschaften und der Opposition. Die gesetzlichen Krankenkassen vermissten Maßnahmen im Kampf gegen die Überversorgung in Ballungsräumen.

„Überversorgung abbauen und Unterversorgung verhindern sind zwei Seiten einer Medaille“, betonte Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbands. Auch der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Rolf Hoberg, sagte der „Südwest Presse“: „Dieses Gesetz gibt uns keine vernünftigen Instrumente in die Hand, um das regionale Ungleichgewicht abzubauen.“ Er forderte zumindest eine Begrenzung des Honoraranstiegs und eine gezielte Umleitung in den ländlichen Raum.

Dem Verband der Ersatzkassen (vdek) zufolge enthält das Gesetz viele positive Ansätze, um die ärztliche Versorgung flexibler und sektorenübergreifend zu gestalten. „Alle Beteiligten sind jetzt gefordert, die Möglichkeiten zu nutzen und regionalen Versorgungsengpässen entgegen­zutreten“, sagte vdek-Vorstandsvorsitzender Thomas Ballast. Leider sei im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Chance vertan worden, das Problem der Überversorgung konsequent anzugehen. „Insofern wird es nun unter dem Strich teurer werden", so Ballast.

Der neue Chef der Krankenkasse Barmer/GEK, Christoph Straub, hat Korrekturen am Versorgungsgesetz angemahnt. „Meine größte Sorge ist, dass die Herausforderung einer gleichmäßigeren Verteilung von Ärzten nicht ausreichend angegangen wird“, sagte Straub der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post vom Mittwoch.

Insbesondere die Maßnahmen gegen die ärztliche Überversorgung kämen zu kurz, erklärte er und forderte Korrekturen an dem Gesetz. Das Gesetz habe aber auch „gute Ansätze“. Straub begrüßte es, dass Krankenhäuser und Reha-Ärzte künftig in unterversorgten Regionen verstärkt zur ambulanten Versorgung zugelassen werden können.

Der Sozialverband Deutschland befürchtet ebenfalls höhere Kosten für Patienten. Wenn das neue Gesetz letztlich doch mehr Kosten verursache, könnten enorm hohe Zusatzbeiträge für die gesetzlich Krankenversicherten fällig werden, warnte Präsident Adolf Bauer.

Die Opposition bezweifelt, dass sich damit der Ärztemangel in unterversorgten Gebieten tatsächlich beheben lässt. „Das Gesetz wird zu erheblichen Mehrausgaben führen, ohne die Versorgung der Versicherten zu verbessern und Versorgungsengpässe zu verhindern“, sagten Harald Terpe und Biggi Bender vom Bündnis 90/Die Grünen.

Damit folge es dem bekannten Strickmuster der schwarz-gelben Gesundheitspolitik. „Verschleppt wird die dringend notwendige Ausrichtung der medizinischen Versorgungsstrukturen auf die Alterung unserer Gesellschaft, dafür werden zweifelhafte Wohltaten über die eigene Klientel ausgeschüttet“, kritisierten die Politiker.

Die stellvertretende gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Marlies Volkmer befürchtet, dass sich „durch dieses Gesetz die Gesundheitsversorgung in Deutschland nicht verbessern wird“. Das Einzige, mit dem fest zu rechnen sei, seien höhere Honorare für Ärzte und steigende Kosten für die Versicherten. Die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Malu Dreyer (SPD) bezeichnete die Landärzte-Novelle der Bundesregierung als „Sammelsurium von Einzelmaßnahmen“. Der Ärztemangel in den ländlichen Regionen lasse sich dadurch nicht wirksam bekämpfen, sagte Dreyer am Mittwoch in einem Interview mit dem Südwestrundfunk (SWR).

Auch die Arbeitgeber haben scharfe Kritik am VStG geübt. Sie zweifeln am Sinn des Vorhabens und warnen vor zusätzlichen Kosten, wie ein Sprecher der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) der Tageszeitung Die Welt vom Mittwoch sagte. „Es ist gesetzliche Aufgabe der Ärzteschaft, überall eine ausreichende ärztliche Versorgung sicherzustellen“, erklärte der Sprecher und fügte an: „Wenn die Ärzteschaft dazu bislang nicht in der Lage ist und deshalb der Gesetzgeber aktiv werden muss, darf diese Fehlleistung nicht noch mit einem Honorarzuwachs belohnt werden.“ Aus Sicht der Arbeitgeber gibt es keinen generellen Ärztemangel, sondern „eine regionale Über- und Unterversorgung“.

Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) kritisiert die Einführung einer spezialärztlichen Versorgungsebene. „Was für die Patienten auf den ersten Blick gut aussieht, entpuppt sich als hässliche Kröte“, erklärte der KVHB-Vorsitzende Jörg Hermann. Die spezialärztliche Versorgung führe zu einem ruinösen Wettbewerb für niedergelassene Ärzte und entziehe dem ambulanten Sektor Geld für die wohnortnahe Behandlung.

„Der Facharzt ums Eck ist auf kurz oder lang passé, Behandlung findet dann nur noch in Krankenhäusern statt“, so Hermann. Die KVHB fordert deshalb Korrekturen im Versorgungsstrukturgesetz. „An der Schnittstelle von stationär zu ambulant gibt es zweifelsohne Verbesserungspotenzial“ sagte der KVHB-Vorstand.

Im Zusammenhang mit der im Gesetzentwurf vorgesehenen ambulanten spezialärztlichen Versorgung hat der Hartmannbund Augenmaß bei der konkreten Umsetzung gefordert: „Wir müssen sehr aufpassen, dass hier nicht ein im Kern positiver Ansatz einen Wettbewerb zwischen den Sektoren initiiert, der am Ende Strukturen zerschlägt, die gerade in der Fläche für eine wohnortnahe Versorgung unverzichtbar sind“, sagte der Vorsitzende des Hartmannbundes, Kuno Winn.

Gleichzeitig appellierte Winn eindringlich an die Regierungsfraktionen, im nun bevorstehenden parlamentarischen Verfahren die positiven Kernelemente des Gesetzesvorhabens nicht zu untergraben und damit in Frage zu stellen. „Erstmals erkennt die Politik faktisch Ärztemangel in Deutschland als Problem an und bietet Lösungsansätze“, so der Vorsitzende des Hartmannbundes. Dies dürfe nicht dadurch konterkariert werden, dass man nun darüber diskutiere, notwendige und sinnvolle Anreizsysteme für Ärzte in unterversorgten Regionen über Abzüge bei denjenigen Ärzten zu finanzieren, die an anderer Stelle die Versorgung gewährleisten.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht im VStG das Potential, die medizinische Versorgung zu verbessern. DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum lobte vor allem, dass die Möglichkeit für Patienten, bei schweren Krankheitsbildern die ambulanten Leistungen der Krankenhäuser in Anspruch nehmen zu können, auf eine stabilere Grundlage gestellt werden soll. „Wer kann, der darf“ sei ein absolut zu begrüßender Grundsatz für die Zulassung von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten zur spezialärztlichen ambulanten Versorgung, so Baum.

„Überhaupt nicht nachvollziehbar ist die im Gesetzentwurf vorgesehene fünfprozentige Kürzung der Vergütungen der ambulanten Leistungen der Kliniken“, kritisierte der DGK-Chef. Das mache aus dem Versorgungsgesetz ein Kürzungsgesetz zu Lasten der Kliniken.

Lob erntete Bahr indes für sein Vorhaben, jene Krankenkassen, die Versicherte abwimmeln, zu saftigen Strafen zu verdonnern. Die Regierung reagiert damit auf Erfahrungen seit der Pleite der City BKK. Andere Krankenkassen wollen deren Versicherte nicht ohne Weiteres aufnehmen, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind.

Der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung, Eugen Brysch, erklärte: „Insbesondere Schwerstkranke und Schwerstpflegebedürftige sind dabei die Verlierer.“ Daher sei es gut, dass die Regierung die Kassen jetzt in die Verantwortung nehme. Neue Formulare sollen den Wechsel der Kasse zudem künftig vereinfachen.

hil

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