Neandertaler-Gene machen anfällig für COVID-19
Ein Genaustausch, zu dem es vermutlich vor etwa 50.000 Jahren zwischen dem Homo sapiens und dem Homo neanderthalensis gekommen ist, könnte erklären, warum Menschen in Südasien bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 ein besonders hohes Risiko auf einen schweren Verlauf von COVID-19 haben.
Eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS) war kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, dass Menschen mit bestimmten Genvarianten auf den Chromosomen 3 und 9 häufiger schwer an COVID-19 erkranken, wenn sie sich mit dem SARS-CoV-2 infiziert haben. Die Varianten auf dem Chromosom 9 befinden sich in der Nähe der Gene für das ABO-System der Blutgruppen.
Die genaue Funktion der betroffenen Region auf dem Chromosom 3 ist nicht bekannt. Es handelt sich allerdings aus anthropologischer Sicht um einen interessanten Abschnitt des menschlichen Erbguts. Er wurde nämlich vor Jahren von einem Team um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig auch in der DNA der Knochen einer Frau gefunden, die vor 50.000 bis 65.000 Jahren in einer Höhle in Kroatien gestorben war und die nach ihrem Knochenbau zu den Homo neanderthalensis gehörte.
Die Neandertaler sind später ausgestorben, doch ein Teil ihrer DNA hat überlebt, weil sich Homo sapiens und Homo neanderthalensis gepaart haben. Dabei sind Genabschnitte (Haplotype) der Neandertaler ins menschliche Genom geraten, darunter auch die Region des Chromosoms 3, die jetzt mit einer erhöhten Anfälligkeit auf COVID-19 in Verbindung gebracht wurde.
Der Neandertaler-Haplotyp hat sich weltweit unterschiedlich ausgebreitet. In Europa ist er mit 8 % selten, in Afrika ist er nicht vorhanden (weil die Mischung der Gene erst nach der Auswanderung aus Afrika erfolgte), am häufigsten ist er in Südasien und dort vor allem bei den Menschen in Bangladesh, wo 63 % der Bevölkerung den Neandertaler-Haplotyp tragen (13 % sogar auf beiden Chromosomen).
Diese Menschen haben nach den Ergebnissen der GWAS eine erhöhte Anfälligkeit auf COVID-19. Tatsächlich war eine Untersuchung britischer Patienten jüngst zu dem Ergebnis gekommen, dass es unter den Einwohnern mit südasiatischen Wurzeln besonders häufig zu schweren Verläufen von COVID-19 kommt.
Am stärksten betroffen waren Immigranten (oder deren Nachfahren) aus Bangladesh. Ihr Tod an einem Virus, das erst seit wenigen Monaten beim Menschen auftritt, könnte demnach die tragische Folge eines Genaustausches sein, der sich vor mehr als 50.000 Jahren ereignet hat.
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