Neues Bundesinstitut soll öffentliche Gesundheit verstärkt in den Blick nehmen

Köln – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat per Ministererlass die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln in „ Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG)“ umbenannt. Zudem unterzeichneten der kommissarische Leiter des BIÖG, Johannes Nießen, und der Präsident des Robert-Koch-Institutes (RKI), Lars Schaade, eine Vereinbarung für die künftige Zusammenarbeit der Einrichtungen.
„Seit mindestens 20 Jahren wird international beklagt, dass Deutschland in der Vorbeugemedizin nicht ausreichend erfolgreich wäre – und das entspricht leider auch den Daten“, sagte der Minister heute bei der Institutsgründung.
Deutschland habe eine sehr hohe Sterblichkeit an vermeidbaren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und anderem, betonte er. „Die Lebenserwartung ist in Deutschland jetzt erstmalig unter den Durchschnitt in der Europäischen Union gefallen“, so Lauterbach. „Deutschland muss mehr in Prävention und Gesundheitsaufklärung investieren.“
Dazu soll das BIÖG beitragen. Es soll Lauterbach zufolge das Wissen über gesunde Verhaltensweisen leicht verständlich vermitteln, aber auch selber Daten erheben, analysieren und aufbereiten. „Damit stellen wir wichtige Weichen für eine gesündere Zukunft einer alternden Gesellschaft und erarbeiten hilfreiche Informationen, wie man das Risiko für Volkskrankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen und Demenz minimieren kann“, so der Minister.
Ursprünglich sollte das neue Institut über das Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit auf den Weg gebracht werden – das wegen der Auflösung der Ampelregierung aber nicht mehr umgesetzt werden konnte. Juristische Bedenken zu dem neuen Weg über einen Ministererlass hat Lauterbach aber nicht. „Ich bin lange genug im Geschäft, um zu beurteilen, was sich über einen Ministererlass umsetzen lässt“, sagte er. Wichtig sei es, Vorhaben nicht immer wieder aufzuschieben.
Lauterbach erläuterte, das neue Institut stehe auf vier Säulen: erstens Gesundheitskommunikation und Kampagnen, zweitens eine enge Zusammenarbeit mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst, um Konzepte in der Bevölkerung zu verbreiten, zum Beispiel in Schulen, drittens eigene Forschung und Datenerhebungen und viertens die Nutzung von künstlicher Intelligenz. Dabei soll es eng mit dem Zentrum für Künstliche Intelligenz in der Public-Health-Forschung des RKI mit Sitz in Wildau (Brandenburg) zusammenarbeiten.
Für seine Aufgaben werde das Institut künftig zusätzliche finanzielle Mittel benötigen. Lauterbach betonte, er werde sich nach der Bundestagswahl in den Koalitionsverhandlungen dafür einsetzen. Man werde die Pläne umsetzen wie im Errichtungsgesetz vorgesehen. Er machte damit auch deutlich, dass er von einer Regierungsbeteiligung der SPD nach der Wahl ausgeht.
Entgegen der ursprünglichen Pläne ist zumindest in der heute veröffentlichten Kooperationsvereinbarung nicht die Rede davon, dass Teile des RKI ins BIÖG integriert werden sollen. Fachleute hatten eine Schwächung der Institution durch eine derartige Umstrukturierung befürchtet. Derzeit ist unklar, ob die Idee nun ganz vom Tisch ist: Je nach Ausgang der Bundestagswahl könnte sie womöglich auch noch zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden.
Natürlich hätte man das Gesetz gerne gehabt, sagte Nießen. Aber es sei nicht aufgehoben, sondern vielleicht nur ein bisschen aufgeschoben.
Nach der erst vor zwei Tagen erfolgten Bekanntgabe der Absicht, das Institut per Erlass zu errichten, hatte der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, Lauterbach unter anderem wegen der offenen Frage der Finanzierung kritisiert: Damit binde der Minister seine Nachfolger und belaste die nötigen künftigen Reformvorhaben „mit einer unnötigen Hypothek“. Sorge hatte den Minister auch dazu aufgerufen, den „Alleingang“ noch zu stoppen.
Zusammenarbeit mit dem RKI
Eine Hauptaufgabe des neuen Instituts ist es, eigene Erkenntnisse mit der Datenexpertise des RKI zu verbinden, um Materialien zur praxisnahen Gesundheitskommunikation zu entwickeln.
„Gute Gesundheitsförderung bedeutet, dass wir Wissen verständlich vermitteln und Menschen in ihrem Alltag erreichen. Genau das ist unsere Aufgabe. Jede Bürgerin und jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, gesund zu leben – mit verlässlichen Fakten, praxisnahen Angeboten und einem starken Netzwerk der Öffentlichen Gesundheit“, sagte Nießen.
Mit der neuen Kooperationsvereinbarung zwischen BZgA und RKI soll dafür ein internes „Steuerungsgremium Öffentliche Gesundheit“ aus den Präsidien beider Institute eingesetzt werden, in dem Forschungsschwerpunkte bestimmt und daraus Informationskampagnen abgeleitet werden. „Mit einer besseren Zusammenarbeit und Abstimmung bündeln wir hier unsere Kräfte zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“, sagte der RKI-Präsident Schaade.
Mögliche Themenschwerpunkte der künftigen Kooperation sind unter anderem die Stärkung der Gesundheitskommunikation, die Zusammenarbeit in den Bereichen Infektionskrankheiten und Impfungen sowie die Weiterentwicklung von Maßnahmen zur Bewegungsförderung und psychischen Gesundheit.
„Gemeinsames Ziel beider Institutionen ist es dabei, Fachpersonal in medizinischer Versorgung und im öffentlichen Gesundheitsdienst ebenso wie Bürger mit evidenzbasierten gut verständlichen Informationen zu versorgen“, so Schaade.
Der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) begrüßte die Gründung. „Es ist wichtig, die öffentliche Gesundheit in den Fokus zu rücken. Der BIÖG-Start sendet dafür ein wichtiges Signal. Herausforderungen wie der Klimawandel, die Vorbereitung auf neue mögliche Pandemien und vieles mehr erfordern einen starken Öffentlichen Gesundheitsdienst“, sagte die BVÖGD-Vorsitzende Kristina Böhm.
Wichtig sei nun, das BIÖG personell und finanziell so auszustatten, dass es seine Aufgaben in der Forschung, der Unterstützung der Gesundheitsämter und der Gesundheitskommunikation erfüllen könne.
Zustimmung kam auch vom AOK-Bundesverband. Von „richtigen und wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft“ sprach dessen Vorständin Carola Reimann.
„Wir brauchen die konsequente Umsetzung des ,Health-in-all Policies'-Ansatzes, also der Berücksichtigung von Gesundheit in allen Politikfeldern, und die Förderung gesundheitsförderlicher Rahmenbedingungen“, sagte sie. Dies politisch umzusetzen und das neue Institut entsprechend auszustatten und auszurichten sei jetzt Aufgabe der nächsten Bundesregierung, so Reimann.
„Auch wenn der Prozess einige Fragen aufwirft, bleibt die Gründung des BIÖG in der Sache richtig“, teilte der Grünen-Politiker Johannes Wagner mit. Deutschland müsse in dem Bereich endlich besser werden. „Die heute unterschriebene Kooperationsvereinbarung wirkt auf dem Papier erstmal nicht schlecht.“ Aber man müsse abwarten, wie sie umgesetzt werde, so das Mitglied des Gesundheitsausschusses des Bundestags.
Was zu fehlen scheine, so Wagner weiter, „ist ein Umdenken von Verhaltensprävention wie reinen Bildungskampagnen hin zu Verhältnisprävention, wie ein Fokus auf besonders belastete und belastende Lebenswelten“.
Dringend thematisieren und angehen müsse man zudem die gesundheitlichen Folgen der „Klima-, Biodiversitäts- und Verschmutzungskrise“. Bereits gestern hatte Wagner erklärt, dass er auch enttäuscht von Lauterbach sei, da es diesem nicht gelungen sei, „die Errichtung rechtssicher mit einem Gesetz zu hinterlegen“.
Die BZgA war 1967 gegründet worden und verfolgte das Ziel, Gesundheitsrisiken vorzubeugen. Bekannt ist sie einer breiten Öffentlichkeit vor allem für ihre zahlreichen Kampagnen, unter anderem zu Themen wie HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen, aber auch zu Sucht und Impfungen.
Ursprünglich hatte Lauterbach die neue Einrichtung „Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin“ (BIPAM) nennen wollen. Auch aus Fachkreisen hatte es daran so viel Kritik gegeben, dass es letztlich zur Änderung in BIÖG kam.
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