Östrogenmangel macht Männer dicker

Boston – Da Östrogene im Körper aus Androgenen entstehen, führt die im Alter nachlassende Hormonproduktion des Hodens beim Mann auch zu einem Östrogenmangel. Er ist einer Studie im New England Journal of Medicine (2013; 369: 1011-1022) zufolge für die Zunahme der Fettmasse verantwortlich und wirkt sich negativ auf die Libido des Mannes aus.
In der Öffentlichkeit gelten Östrogene und Androgene als gegensätzliche Hormone. Östrogene sind weiblich, Androgene männlich. In Wirklichkeit sind Frau und Mann hormonelle Zwitter. Beide haben männliche und weibliche Hormone. Frauen brauchen Androgene für die Produktion von Östrogenen: Das wichtigste weibliche Östrogen Estradiol entsteht durch eine Aromatase aus Testosteron.
Dieses Enzym gibt es auch bei Männern, die ebenfalls Estradiol bilden. Diesem „Seitenprodukt“ des Testosteronstoffwechsels wurde bisher wenig Beachtung geschenkt. Die Forschung konzentrierte sich eher auf die Wirkung von Dihydrotestosteron, das durch Reduktion aus Testosteron entsteht und als das eigentliche männliche Geschlechtshormon gilt.
In einem klassischen Versuchsaufbau haben jetzt der Endokrinologe Joel Finkelstein und Mitarbeiter vom Massachusetts General Hospital in Boston untersucht, was passiert, wenn die Bildung von Estradiol beim Mann ausgeschaltet wird. Dies ist durch Anastrozol möglich. Diesen Aromatasehemmer kennen Ärzte aus der adjuvanten Hormontherapie des Mammakarzinoms. Anastrozol hemmt die Bildung von Estradiol aus Testosteron.
An der Studie nahmen 400 gesunde Männer im Alter von 20 bis 50 Jahren teil. Bei allen Männern wurde zunächst durch Goserelin die körpereigene Testosteronproduktion gestoppt. Das fehlende Testosteron wurde über ein Pflaster substituiert, und zwar in fünf Dosierungen von Null (Placebo) bis 10 Gramm pro Tag. In allen Gruppen wurde die Hälfte der Männer mit Anastrozol behandelt. Bei ihnen wurde Testosteron zwar in Dihydrotestosteron, nicht aber in Estradiol umgewandelt.
Fettmasse nahm deutlich zu
Auf die Muskelmasse hatte der künstlich herbeigeführte Östrogenmangel keine Auswirkungen. Sie stieg mit zunehmender Testosterondosis, egal ob die Männer Anastrozol erhalten hatten oder nicht. Anders war dies bei der Fettmasse. Die subkutanen und intraabdominalen Depots nahmen deutlich zu, wenn den Männern die Östrogene fehlten. Libido und erektile Funktion sind auf beide Hormone angewiesen. Der Östrogenmangel verstärkte hier die Auswirkungen des Testosteronmangels.
Da die Experimente bei jüngeren und gesunden Menschen durchgeführt wurden, sind kaum Rückschlüsse über die Auswirkungen des männlichen Hormonmangels im Alter, dem hypogonadotropen Hypogonadismus, möglich. Ob ältere Männer auch unter einem Östrogenmangel leiden, wie man aufgrund der Synthesewege vermuten darf, will Finkelstein in einer weiteren Studie untersuchen.
Noch weniger lassen sich therapeutische Maßnahmen aus der Studie ableiten. Dass Männer im Alter von der Gabe von Testosteron profitieren, ist wissenschaftlich umstritten, gleichwohl sich die Verordnungen von Testosteron in den USA in den letzten beiden Jahrzehnten verfünffacht haben. Aufgrund der aktuellen Studie muss befürchtet werden, dass einige Endokrinologen bald zusätzlich noch Östrogene verschreiben. Finkelstein rät davon ab. Er verweist auf die Women's Health Initiative, die vor zehn Jahren unerwartete Risiken der Östrogensubstitution bei postmenopausalen Frauen aufgedeckt hat.
Eine analoge Men's Health Initiative fehlt bisher. In ihr müssten zunächst einmal die Auswirkungen einer Testosteronsubstitution untersucht werden. Einen Anfang macht hier der Testosterone Trial, an dem 800 Senioren im Alter von über 65 Jahren mit niedrigen Testosteronwerten teilnehmen. Die Ergebnisse der 2009 an zwölf US-Zentren begonnenen Studie werden für Juli 2015 erwartet.
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