Otitis media: Antibiotika bei strikter Indikation effektiv

Turku – Bei einer otoskopisch gesicherten akuten Mittelohrentzündung profitieren Kleinkinder von einer sofortigen Antibiotikatherapie, die in einer randomisierten klinischen Studie im New England Journal of Medicine (NEJM 2011; 364: 116-126) aber häufig mit Nebenwirkungen verbunden war.
Die akute Otitis media ist die häufigste bakterielle Infektion im Kindesalter und auch der häufigste Anlass für die Verordnung von Antibiotika in der Pädiatrie. Der Einsatz war lange Zeit nicht umstritten. Schließlich gehörten schwere Mittelohrentzündungen in der prä-antibiotischen Ära zu den häufigsten Ursachen für Hospitalisierungen im Kindesalter.
Die Mastoiditis und eitrige intrakranielle Infektionen waren zu Recht gefürchtet. Diese Erkrankungen werden heute nur noch selten gesehen, wofür der Editorialist Jerome Klein von der Boston University School of Medicine vier Gründe anführt.
Zum einen wurden die meisten Kinder früher mangels effektiver Antibiotika mit Hausmitteln behandelt. Die Ärzte bekamen nur die schweren Verläufe zu sehen, was die Erkrankung bedrohlicher erscheinen lässt, als sie ist. Zweitens wird die Diagnose längst nicht mehr so streng gestellt. Früher wurde eine Perforation des Trommelfells oder eine Myringotomie gefordert, heute werde die Diagnose häufig von Ärzten gestellt, die in der Otoskopie wenig erfahren sind, was eine Überdiagnose und -therapie zur Folge hat.
Drittens hat es laut Klein einen Wandel bei den Erregern gegeben: Die Gruppe A-Streptokokken, die eine nekrotisierende Mittelohrentzündung auslösen, wurden weitgehend abgelöst von Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis mit einem relativ milden Verlauf der Infektion. Schließlich gibt es heute eine Vielzahl von Antibiotika – in den USA sind 19 Wirkstoffe für die Indikation zugelassen – die von den Herstellern entsprechend beworben werden.
Der zu häufige Einsatz von Antibiotika und die Sorge um die Förderung von Resistenzen hat die Fachgesellschaften in den letzten Jahren bewogen, eine in den Niederlanden erprobte Therapie zu empfehlen, bei der die Kinder zunächst mit Analgetika und abschwellenden Nasensprays oder -tropfen zu behandeln sind und der Einsatz von Antibiotika auf jene Kinder beschränkt wird, bei denen es in den ersten Tagen nicht zu einer Besserung kommt.
Die Evidenz für diese abwartende Haltung („watchful waiting“) wurde jedoch infrage gestellt. Klein weist auf methodologische Schwächen der Studien hin. So seien die Diagnosekriterien unpräzise gewesen und nicht alle Ärzte seien „validierte Otoskopiste“ gewesen.
Diese Bedenken waren der Anlass für eine randomisierte Studie, die den Einsatz von Antibiotika mit Placebo verglich. Die Gruppe um Aino Ruohola von der Universität Turku in Finnland griff dabei allerdings nicht auf die „watchful waiting“-Strategie zurück. Die Kinder im Alter von 6 bis 35 Monaten wurden von Beginn an mit Antibiotika therapiert. Es wurden indes strikte Diagnosekriterien festgesetzt.
Neben den typischen Symptomen (Ohrenschmerzen, Fieber oder auch respiratorische Symptome) musste durch eine eine pneumatische Otoskopie eine Vorwölbung, eine verminderte oder fehlende Beweglichkeit, eine Farbänderung oder ein Flüssigkeitsspiegel des Trommelfells dokumentiert worden sein.
Gefordert wurden drittens entzündliche Zeichen des Trommelfels wie Rötung, Gefäßzeichnung oder gelbliche Verfärbungen. Diese engen Kriterien waren der Hauptgrund, warum von anfangs 1.062 Kindern nur 322 in die Studie aufgenommen wurden.
Unter diesen hoch selektiven Bedingungen erwies sich die Antibiotikabehandlung mit Amoxicillin/Clavulansäure als effektiv: Die Häufigkeit eines Therapieversagens wurde von 44,9 unter Placebo auf 18,6 Prozent gesenkt. Dieser Unterschiede war bereits am Tag 3 der ersten Nachuntersuchung (25,3 vs. 13,7 Prozent) deutlich.
Insgesamt wurde das Risiko eines Therapieversagens um fast zwei Drittel gesenkt (Hazard Ratio 0,38; 95-Prozent-Konfidenzintervall 0,25-0,59). Die Notwendigkeit eines Wechsels auf ein anderes Medikament (“Rescue treatment”) wurde um 81 Prozent vermindert (von 33,5 auf 6,8 Prozent).
Soweit die Vorteile der Therapie. Die Nachteile bestanden in einer erhöhten Rate von Nebenwirkungen: Jedes zweite Kind entwickelte unter der Antibiotikatherapie eine Durchfallerkrankung (47,8 vs. 26,6 Prozent im Placebo-Arm). Ekzeme wurden ebenfalls häufiger beobachtet (8,7 vs. 3,2 Prozent).
Deshalb sind auch aus Sicht der Autoren weitere Untersuchungen notwendig, um die Antibiotika gezielter als bisher einzusetzen. Immerhin: Durch die strikte Diagnosestellung konnte die Number Needed to Treat, also die Anzahl der Kinder, die behandelt werden müssen, damit ein Kind einen Nutzen von der Therapie hat, von 7 bis 17 in den Studien zum Watchful Waiting auf 3,8 verringert. Dieser günstige Wert wird allerdings nur erreicht, wenn sich die Kinderärzte an die engen Kriterien halten.
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