Persönliche Anmerkungen I – Patiententzentrierte Medizin
Da war er also, jener Begriff, der allenthalben in den USA die Runde macht und der uns hiesigen Ärzten zunehmend entgegengeschleudert wird: „Patientenzentrierte Medizin”. Ich hörte ihn kürzlich zum ersten Mal in einem deutschen Radioprogramm, um dann wenig später von einem FAZ-Autor einen Artikel zum Thema zu lesen (http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/aerzte-kampagne-der-herr-doktor-hat-keinen-der-ihn-mag-12188076.html). Es geht eben auch in Deutschland zunehmend darum, wegen allerlei Gründen patientenzentrierte Medizin betreiben zu müssen. Doch wissen wir als Ärzte oder weiβ der Nichtmediziner überhaupt, um die Komplexität und Problematik dieses Themas?
Am Begriff haftet zweifellos eine moralisch-positive Konnotation: Es soll hiermit dargestellt werden, dass man aus der dunklen Ära eines arzt- oder pflegezentrierten Modells in eine helle Ära eines auf den Patienten ausgerichteten Modells übergegangen sei. Es baut gegenüber dem Arzt eine Art Bringschuld auf. Ein mündiger und aufgeklärter Patient sitze heutzutage selbstbewusst und mit modernen Technologien ausgestattet (primär das Internet) dem Arzt und Pfleger gegenüber mit der Erwartung, alle Informationen zu erhalten, damit er über die Therapie und Diagnostik entscheiden könne. „Individualtherapie” wird das dann genannt, so als hätte es früher wohl im Umkehrschluss vor allem Kollektivtherapien gegeben.
Wenig überraschend wird in den USA in diversen Kommunikationsseminaren geraten, die Patienten beispielsweise bestimmen zu lassen, ob beim festgestellten Lungenkarzinom eine Resectio, Radiatio oder Hospiz adäquat sei. Der Arzt ist maximal Berater. Oder: Ein 57-jähriger Mann, so schlagen US-amerikanische Leitlinien es vor, soll aufgeklärt werden über die Vor- und Nachteile des PSA-Krebsvorsorgebluttests. Weiterhin: Die 49-jährige Frau soll nicht die Mammographie verordnet, sondern nach intensiver Beratung angeboten bekommen. Die Details in der Sprache sind klar erkennbar.
Doch zunehmend werden Bedenken in der Ärzteschaft geäuβert: War es früher wirklich so, dass die Krankenversorgung den Patienten nur peripher wahrnahm? Waren all die 36-Stundenschichten, die Hausbesuche und die dauernde Rufbereitschaft der Rettungssanitäter und Hausärzte nur Selbstzweck? Wollen Patienten medizinische Entscheidungen bis in jedes Detail hinein fällen oder sind viele nicht damit überfordert? Haben viele überhaupt die notwendige Bildung hierzu?
Ist der Mehraufwand des Arztes bezahlbar in einem immer teurer werdenden Versorgungssystem? Darf ein Patient, der die Gesundheitsleistung selber nicht bezahlt, sondern dieses dem von ihm nur indirekt unterstützten Kollektives „Krankenversicherung” überlässt, überhaupt solche Maximalkonsultation einfordern? Wie sieht patientenzentrierte Medizin in Notfallsituationen aus?
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