Politik

Pflege: Einnahmen erhöhen und Fachkräftemangel reduzieren

  • Dienstag, 13. Mai 2025
Mitarbeiter und Auszubildende in den Pflegeberufen protestieren während einer Demonstration unter dem Motto „Walk of Care“ am internationalen Tag der Pflegenden./picture alliance, SZ Photo, Olaf Schülke
Mitarbeiter und Auszubildende in den Pflegeberufen protestieren während einer Demonstration unter dem Motto „Walk of Care“ am internationalen Tag der Pflegenden./picture alliance, SZ Photo, Olaf Schülke

Berlin – Um die aktuellen Probleme in der Pflege zu lösen, müssen strukturelle Veränderungen vorgenommen werden. Das betonten Fachleute gestern auf einer Veranstaltung in Berlin, die anlässlich des Internationalen Tags der Pflegenden unter anderem von der Diakonie Deutschland organisiert wurde.

Die größten Probleme seien dabei die unzureichende Finanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung und der Fachkräftemangel. Die finanzielle Lage der Pflegeversicherung sei „so ernst wie noch nie“, hatte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, vor kurzem erklärt. Trotz gestiegener Beiträge zur Pflegeversicherung zum Jahresbeginn sei das Finanzierungsproblem nicht gelöst.

Derzeit fehlten politische Konzepte zur Erhöhung der Einnahmen der Pflegeversicherung, kritisierte Andrea Asch, Vorständin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg „Sie sind aber zwingend erforderlich, sonst wird die anstehende Reform zu nicht zu verantwortenden Leistungseinschränkungen und weiterer Steigung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen führen.“

Asch schlug vor, die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen, eine Pflegeabgabe auf Kapitalerträge einzuführen und eine Bürgerversicherung auf den Weg zu bringen, in die alle Menschen in Deutschland einzahlen.

Zudem verwies sie auf ein Gutachten des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang, der einen Sockel-Spitze-Tausch vorgeschlagen hat, bei dem die Eigenanteile der Pflegeheimbewohner gedeckelt werden und alle darüberhinausgehenden Kosten von der Pflegeversicherung getragen werden. Heute ist es umgekehrt.

„Das würde nicht nur die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen reduzieren, sondern auch die Planungssicherheit für alle Beteiligten erhöhen“, sagte Asch.

Derzeit wartet die Branche auf die Ergebnisse einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene, die die Grundlagen der „großen Pflegereform“ innerhalb dieses Jahres erarbeiten soll, wie es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung heißt. Ein Arbeitsauftrag lautet dabei, den Leistungsumfang der Pflegeversicherung zu überprüfen.

Vor diesem Hintergrund wies Serdar Yüksel (SPD) darauf hin, dass eine Veränderung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs auch Auswirkungen auf die Ausgaben der Pflegeversicherung habe.

Zum Hintergrund: Mit der Einführung der Pflegegrade in Deutschland im Jahr 2017 wurde der Pflegebedürftigkeitsbegriff ausgeweitet. In der Folge – und wegen des demografischen Wandels – stieg die Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger deutlich an.

Auch Yüksel kritisierte, dass „wir derzeit die große Solidarität in der gesetzlichen Pflegeversicherung unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze“ organisieren. Angesichts der Zunahme der Pflegebedürftigen gehe das nicht gut. 

Fachkraftquote reformieren

Um den Fachkräftemangel anzugehen, schlug Simone Borchardt (CDU) vor, die Fachkraftquote zu reformieren, die heute bei 50 Prozent liegt. Wegen fehlender Pflegefachpersonen hätten in ihrer Einrichtung Betten leer stehen müssen, sagte Borchardt, die auch Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung ist.

Statt Pflegebedürftige gar nicht versorgen zu können, sei es besser, sie mit Pflegehilfskräften zu versorgen. Zudem sprach sie sich dafür aus, Pflegende durch Technik zu entlasten, zum Beispiel durch eine Sprachsteuerung bei der Pflegedokumentation. Solche technischen Unterstützungen müssten dann aber von den Pflegekassen refinanziert werden.

Asch wies darauf hin, dass wegen des demografische Wandels bis 2035 weitere 350.000 Pflegekräfte benötigt würden. „Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, aber auch um diversitätsoffene und zukunftsfähige Pflege voranzutreiben, ist die Anwerbung und vollständige Integration von internationalem Personal unerlässlich“, sagte Asch.

„Das alleine wird uns aber nicht retten. Deshalb dürfen wir nicht die große Gruppe der Menschen vergessen, die bereits mit unterschiedlichen Aufenthaltsrechten in Deutschland leben.“ Der Mikrozensus 2019 zeige, dass der Anteil von Beschäftigten mit Einwanderungsgeschichte in der Pflege bereits überdurchschnittlich hoch sei: 21 Prozent im Vergleich zu 19 Prozent in anderen Berufen.

Integration auch im sozialen Raum

„Um diese Entwicklung zu unterstützen, benötigen wir gut aufeinander abgestimmte Förder- und Beratungsstrukturen auf kommunaler Ebene“, sagte Asch. Damit die Bindung von internationalem Personal in den Einrichtungen dauerhaft gelinge, müssten die Integrationsbemühungen über den Arbeitsplatz hinausgehen und auch den sozialen Raum der Menschen umfassen. Zudem könne es nicht auf genug gesagt werden: „Es ist dringend notwendig, bürokratische Hürden im Anerkennungsprozess abzubauen, um den Weg für eine erfolgreiche Integration zu ebnen.“

Yüksel warnte vor zu hohen Erwartungen an die Pflegereform. „Die Reform der Pflegeversicherung ist eine Generationenaufgabe“, sagte er. Die anstehende Reform könne nur ein Einstieg in ein anderes System sein. Er zeigte sich aber zuversichtlich, dass jetzt ein guter Einstieg gelingen werde.

Junge Pflegende zeigen sich besorgt

Zum Internationalen Tag der Pflegenden fand gestern zum neunten Mal der sogenannte „Walk of Care“ vor dem Bundesgesundheitsministerium in Berlin statt – eine Demonstration junger Pflegender, die durch Redebeiträge mehrerer Verbände und Initiativen begleitet wurde.

Berufspolitisch Engagierte machten auf die prekäre Lage in der Pflege aufmerksam und wandten sich mit Forderungen und Wünschen an Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) und die neue Regierung.

„Wir brauchen eine Pflegepolitik, die Veränderung schafft“, betonte Selina Mooswald, Bundesvorsitzende des Bochumerbund und Mitorganisatorin der Veranstaltung. „Diese sehen wir weder im Koalitionsvertrag noch in der Politik der letzten Jahre. Pflegekräfte sind die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen und dennoch sind wir seit Jahrzehnten unterrepräsentiert, unterbewertet und überbelastet“. Viele verließen den Beruf, weil die Arbeitsbedingungen nicht mehr zu tragen seien.

„Die Perspektive der beruflich Pflegenden, gerade für frisch ausgebildete oder Personen in Ausbildung, sind sehr unattraktiv“, sagte Lea Prinz, Pflegefachfrau und Beisitzerin im Bundesvorstand des Bochumerbund. „Der Stationsalltag lässt kaum Zeit für das, was Pflege ausmacht. Fürsorge, aktives Zuhören und auch das Erfüllen der Vorbehaltsaufgaben nach Pflegeberufegesetz werden durch Stress, Personalmangel, Frust und auch durch zunehmende Gewalt gegenüber Pflegenden kaum mehr möglich.“

Steffen Brodowski von der Deutschen Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) zeigte sich enttäuscht, seit Jahren die gleichen Missstände in der Pflege beklagen zu müssen. Es sei nun die Aufgabe von Bundesgesundheitsministerin Warken und der neuen Pflegebevollmächtigten, Gesprächsangebote mit Pflegeverbänden anzunehmen und längst begonnene Gesetze in die Tat umsetzen.

Eine höhere Wertschätzung der Pflege sei dringend notwendig, betonten auch Vertreter der AG Kritische Medizin Berlin und des Bündnis Gesundheit statt Profite. „Wir brauchen bessere Bezahlung, bessere Personalbesetzung, weniger Patienten pro Pflegekraft und ein solidarisches und faires Gesundheitssystem“, hieß es.

Der ökonomische Druck werde in Form von Zeit-, Personal- und Materialmangel systematisch gegen die Pflegenden verwendet. Die Folgen seien ständige Überlastung, zu wenig Zeit, um auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen und zu wenig Zeit, um sicherzustellen, dass keine Fehler passierten, so die Arbeitsgemeinschaft.

Diskriminierung in der Pflege

Ein besonderes Augenmerk wurde bei der Kundgebung auch auf die Themen Diskriminierung im Gesundheitsweisen und Klimawandel gelegt. Vertreter der Initiative Pflege gegen Rechts plädierten für eindeutige Grenzen gegen Diskriminierung im Gesundheitswesen.

„Rassismus beeinflusst nicht nur die dringend benötigte Integration und Anwerbung von Pflegefachpersonen, sondern hat auch einen negativen Impact auf die gesundheitliche Versorgung und Teamdynamik“, betonte Dominik Advani von Pflege gegen Rechts.

„Wir als Pflege gegen Rechts stehen für eine tolerante Pflege, die sich weiterentwickelt und dabei alle Personen inkludiert“. Um demokratische Strukturen zu schützen und zu fördern, müsse Bundesgesundheitsministerin Warken klar Stellung gegen Rechts beziehen, forderte Francis Bartsch von Pflege gegen Rechts.

Die Gruppe Health for Future und die AG Nachhaltigkeit vom Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe machte auf die Folgen des Klimawandels für Patienten und Personal aufmerksam und sprach unzureichende Maßnahmen in Sachen Hitzeschutz und Verhalten bei Extremwettersituationen im Gesundheitsbereich an.

Pflege, Gesundheit und Klimapolitik müssten mehr zusammengedacht werden. Anstelle unabhängig voneinander geplanter Maßnahmen brauche es Interventionen, die alle drei Aspekte voranbrächten. Zudem müsse der Gesundheitssektor mehr Verantwortung übernehmen – sowohl für seine Treibhausgasemissionen als auch für das Personal.

Die Gruppen forderten zudem, Nachhaltigkeit und Klimawandel als essenziellen Bestandteil in die Aus-, Fort und Weiterbildung der Pflege aufzunehmen und für soziale Gerechtigkeit in Sachen Klima und Gesundheit zu sorgen.

fos/nfs

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