Pflegende Angehörige nutzen Leistungen der Pflegeversicherung kaum

Berlin – Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sind den meisten pflegenden Angehörigen bekannt, zum Beispiel die Tages-, Kurz- oder Verhinderungspflege. Mit Ausnahme des Pflegedienstes werden sie jedoch nur von weniger als einem Fünftel genutzt. Das geht aus einer Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) unter 1.000 pflegenden Angehörigen hervor, deren Ergebnisse heute bei der Vorstellung des Pflege-Reports 2016 präsentiert wurden.
Als Gründe gaben die Befragten an, dass die Pflegebedürftigen nicht von einer fremden Person gepflegt werden wollten, sowie die hohen Kosten oder die schlechte Erreichbarkeit. „Hier zeigt sich ein tief sitzendes Selbstverständnis von familiärer Pflege, in das Pflichtgefühl und Scham mit hineinspielen“, erklärte Antje Schwinger, Pflegeexpertin des WIdO und Mitherausgeberin des Reports.
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, forderte angesichts der Umfrageergebnisse eine Straffung der bestehenden Regelungen: „Die Pflegeversicherung hat sich bewährt. Aber wir müssen ihre Leistungen noch einfacher und flexibler gestalten.“ Zum Beispiel könne man die beiden Leistungen „Verhinderungspflege“ und „Kurzzeitpflege“ zusammenlegen. „Statt hier zwei verschiedene Regelungen und Budgets vorzusehen, sprechen wir uns für die Bündelung aus. Es geht um 3.224 Euro für 14 Wochen je Kalenderjahr. Pflegende Angehörige wissen selbst am besten, wie sie während einer Auszeit das Geld am sinnvollsten einsetzen können.“
„Eine Wertschöpfung von 37 Milliarden Euro“
Die Arbeitsleistung von pflegenden Angehörigen veranschaulichte Litsch mit einem Rechenbeispiel. „Wenn man die Stundenzahl, die pflegende Angehörige aufwenden, mit dem heutigen Mindestlohn multipliziert, dann liegt deren Wertschöpfung bei rund 37 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist eine gewaltige Summe, wenn man bedenkt, dass die Pflegeversicherung selbst nur ein Einnahmevolumen von rund 26 Milliarden Euro umfasst.“
Die Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft an der Charité und Mitherausgeberin des Pflege-Reports, Adelheid Kuhlmey, erklärte, dass die Pflegebedürftigkeit in hohem Alter künftig zum Normalfall werde. Der Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen sei in den letzten zehn Jahren allerdings moderater verlaufen, als es damals hochgerechnet worden sei. „Das liegt vor allem daran, dass die Pflegebedürftigkeit im Durchschnitt in einem immer höheren Lebensalter eintritt, das heißt: Wir bleiben länger gesund“, sagte Kuhlmey.
„Ein deutsches Spezifikum“
In Deutschland werde die Betreuung pflegebedürftiger Menschen sowohl von professioneller, als auch von familiärer oder ehrenamtlicher Hilfe übernommen. Das sei ein deutsches Spezifikum. „In Dänemark zum Beispiel ist die staatliche Hilfe umfassend organisiert, in Italien ist eher die familiäre Hilfe traditionell von Bedeutung“, so Kuhlmey. „Die Mischung in Deutschland ist eine gute Basis für die anstehenden Herausforderungen.“
Die Pflegewissenschaftlerin meinte, dass „wir uns künftig besser auf unsere eigene Pflegebedürftigkeit vorbereiten können“. Vielleicht werde die Pflege dann einfacher zu organisieren und dadurch auch preisgünstiger werden, „wenn zum Beispiel ein ambulantes Pflegeteam nicht mehr in 40 verstreut liegende Wohnungen fahren muss, sondern nur noch in eine“, in der die Pflegebedürftigen zusammenlebten. „Diese Strukturen werden dazu führen, dass die Pflege künftig effizienter sein wird“, so Kuhlmey. Dazu könne auch ein stärkerer Einsatz von Technik beitragen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: