Pharmaindustrie hofft auf Erleichterung der Fachkräfteeinwanderung

Berlin – Die Pharmaindustrie sorgt sich wegen des Fachkräftemangels und der generellen wirtschaftlichen Instabilität um den Standort Deutschland. Das erklärten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter der Branche gestern in Berlin.
Mit mehr als 70 Prozent Tarifbindung, einer ausgeprägten Sozialpartnerschaft sowie einem weit überdurchschnittlichen Qualifikations- und Lohnniveau gehöre die Pharmaindustrie zu den am besten aufgestellten Branchen in Deutschland, erklärte Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE), gestern in Berlin.
Schon deshalb sei es zu begrüßen, dass die Bundesregierung bei der Erarbeitung ihrer Pharmastrategie auf Industrieinteressen gehört habe. Sie adressiere auch aus Gewerkschaftssicht die richtigen Punkte, um die hochwertigen Arbeitsplätze der Branche zu sichern.
Sozialpartnerschaft, Tarifbindung und Standortgarantien würden durch die Gewährleistung eines verlässlichen Patent- und Unterlagenschutzes gestärkt. „Allgemein braucht es ein sicheres Bekenntnis zu industriellen Gesundheitswirtschaft“, forderte er.
Dabei fehle allerdings noch ein klares Konzept zur Rückverlagerung der Generikaproduktion nach Europa. Die Abhängigkeit von politischen Akteuren im Ausland – insbesondere vom autoritären System der Volksrepublik China – sei ein großes Problem, das eher früher als später angegangen werden müsse.
Zudem sei die pharmazeutische Industrie auch von in großem Maße von der Stabilität der Gesamtindustrie abhängig, da auch Branchen wie die Chemie oder der Maschinenbau unverzichtbarer Teil der komplexen Wertschöpfungskette seien. Dieses wirtschaftliche Ökosystem sei derzeit sehr labil.
Auch werde das politische Klima im Land zu einem wachsenden Problem. Der Rechtsruck, insbesondere in Form der AfD, erschwere spürbar die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland, die angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland mittlerweile unverzichtbar sei, erklärte er beim sogenannten Fortschrittsdialog, einer von den großen Branchenverbänden unabhängigen Initiative mehrerer Pharmakonzerne und der IGBCE.
Das im vergangenen Jahr verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei ein wichtiger Schritt gewesen, erklärte dazu SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Damit seien die Probleme allerdings noch nicht gelöst. „Wir müssen da richtig ranklotzen und schneller werden bei der Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen“, sagte er.
Das sei allerdings auch ein kulturelles Thema, wandte der FDP-Bundestagsabgeordnete Thomas Hacker ein. Deutschland habe einen Einwanderungsbedarf von 400.000 Menschen im Jahr. „Wir erleben aber, dass vom Wissenschaftler bis zum Facharbeiter andere Länder – auch in Europa – attraktiver sind als Deutschland. Das war nicht immer so“, sagte er. Es brauche eine bessere Willkommenskultur. „Das Bild Deutschlands in der Welt leidet.“
Die Fachkräfteeinwanderung zu fördern, sie absolut richtig, allerdings müssten auch in Deutschland Bedingungen geschaffen werden, qualifizierte Arbeitskräfte freizusetzen, betonte Emily Büning, politische Geschäftsführerin der Grünen. So gingen entscheidende Fachkräfte verloren, weil immer noch zu viele Frauen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt fänden. Es müssten deshalb Betreuungsangebote und Kitaplätze viel stärker gefördert werden, um dieses Ungleichgewicht zu bekämpfen.
Oliver Schenk (CDU), Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien und Chef der Staatskanzlei Sachsen, sah das Problem eher in einem falschen Anreizsystem. Es brauche bessere Anreize, mehr zu arbeiten, beispielsweise durch steuerliche Entlastungen.
Eine wichtige Trendwende schaffe Deutschland hingegen derzeit bei der Digitalisierung. „Die Therapie der Zukunft wird immer eine digitale sein“, betonte Schenk. Es müssten weiterhin die Rahmenbedingungen geschaffen werden, den Datenschatz im Gesundheitswesen zu heben und dabei einen unverkrampfteren Umgang mit dem Datenschutz zu finden.
Büning warnte dabei vor einer zu starken Herabsetzung der bisherigen Standards. Datenschutz und Künstliche Intelligenz (KI) müssten schon deshalb gut reguliert werden, um ausreichendes Vertrauen der Ärztinnen und Ärzte in die Anwendungen zu schaffen. Zudem brauche es Investitionen, um die Interoperabilität im Gesundheitswesen zu verbessern.
Der Vorsitzende der Geschäftsführung von Boehringer Ingelheim Deutschland, Fridtjof Traulsen, warnte, dabei Fehler der Vergangenheit zu wiederholen und allzu restriktiv vorzugehen. „Wo immer Sie Datenminimierung und KI gleichzeitig hören, müssen Sie wissen, dass das ein Widerspruch ist. Das geht nicht zusammen“, betonte er.
Auch er forderte einen unverkrampfteren Umgang mit neuen Technologien und ein vorausschauendes Agieren. Sein Unternehmen benutze KI bereits umfassend, um beispielsweise in Forschung und Entwicklung neue Moleküle zu designen, oder für selbstregulierende Fabriken.
Die Pharmaindustrie sei auch hier ein Vorreiter. So setze sich sein Unternehmen bereits eingängig mit Entwicklungen und Möglichkeiten von Quantencomputern auseinander, auch wenn diese noch Jahre oder Jahrzehnte von der Marktreife entfernt seien. Wenn es einmal so weit sei, werde der Bedarf nach Expertinnen und Experten auf dem Gebiet aber enorm sein. Darauf müsse man sich bereits heute vorbereiten.
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