Physiologie: Lepra-Bakterien fördern Regeneration der Leber

Edinburgh – Mycobacterium leprae, der obligat intrazellulär lebende Erreger der Lepra, sichert seinen Lebensraum, indem es die infizierten Zellen in den Zustand von Stammzellen zurückversetzt. In der Leber hat dies ein geordnetes Wachstum des Organs zur Folge, was laut einem Bericht in Cell Reports Medicine (2022; DOI: 10.1016/j.xcrm.2022.100820) Anregungen zur Behandlung von Lebererkrankungen geben könnte.
Die Leber ist das einzige Organ, das im höheren Lebensalter zu einer kompletten Regeneration fähig ist. Auch bei erwachsenen Lebendspendern kommt es nach der Entfernung von bis zu Zwei Dritteln des Organs zu einer vollständigen Erholung. Infektionen führen dagegen langfristig zu einer Zerstörung der Leber, der Leberzirrhose, die ab einem gewissen Stadium unumkehrbar ist, auch wenn die Hepatozyten bis zum Schluss eine regenerative Kapazität behalten.
Umso überraschender war der Befund, dass die Leber der Gürteltiere, neben dem Menschen das einzige Reservoir von M. leprae, bei einer Infektion intakt bleibt. Auch wenn sich die Bakterien massiv in den Leberzellen vermehrt haben, kommt es nicht zur Zerstörung der Leber. Die honigwabenartige Struktur mit den zuführenden Ästen der Pfortader und den Sinusoiden, die das Blut an Reihen von Hepatozyten vorbei in die Zentralvene leiten, bleibt erhalten. Das Organ vergrößert sich sogar, soweit dies die Organkapsel zulässt.
Der Biologe Anura Rambukkana vom Centre for Regenerative Medicine der Universität Edinburgh hat jetzt eingehend untersucht, wieso Infektionen mit M. leprae anders als beispielsweise eine Infektion mit Hepatitis-Viren das Organ nicht schädigen und sogar das Wachstum fördern.
Das Geheimnis scheint eine Reprogrammierung des Erbguts der infizierten Zellen zu sein. Diese werden in den Zustand von Vorläuferzellen zurückversetzt, aus denen sich dann neue Leberzellen bilden. Der Vorteil für M. leprae könnte darin bestehen, dass die Erreger bei jeder Zellteilung auf die Tochterzellen weitergegeben werden. Die intrazellulären Bakterien müssten dann für ihre Vermehrung die schützende Umgebung nicht verlassen.
Ein ähnliches Phänomen hatte Rambukkana vor einigen Jahren bei den Schwannzellen der peripheren Nerven beobachtet. Diese Zellen werden bei der kutanen Lepra infiziert. Auch dort kommt es zu einer Reprogrammierung der Zellen. Sie verwandeln sich sogar in mesenchymale Stammzellen zurück, die sich dann in Muskelzellen differenzieren und die Bakterien dabei mit sich führen.
Über die Stammzellen gelangen die Bakterien auch in Makrophagen, aus denen sich die für die Erkrankung typischen Granulome bilden. Über sie gelangen die Bakterien durch körperliche Berührung in andere Menschen, wobei die Lepra zu den am wenigsten ansteckenden Erkrankungen gehören. Eine Infektion erfolgt nur bei einem längeren engen Kontakt.
Wie genau die Bakterien die infizierten Zellen umprogrammieren, ist für die Forschung von enormem Interesse. Wenn es gelänge, die Regeneration der Leberzellen bei Patienten zu stimulieren, ohne dass es dabei zur Bildung einer Fibrose kommt, könnten chronische Lebererkrankungen geheilt werden. Die Forscher haben deshalb durch eine Sequenzierung der RNA untersucht, wie sich der Stoffwechsel der Zellen nach einer Infektion mit M. leprae verändert.
Es wurden verschiedene Muster entdeckt, die auch bei der fetalen Entwicklung der Leber aktiv sind. Ein genaues Rezept, wie diese Erkenntnis in eine Therapie umgemünzt werden könnte, fehlt allerdings bisher. Eine Infektion mit M. leprae dürfte zur Behandlung von chronischen Leberschäden sicher nicht infrage kommen.
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