Gesundheit

Polio als Bin Ladens Rache

  • Dienstag, 10. Juli 2012

Aus Sicht der Terrorbekämpfung mag die Liquidierung Osama bin Ladens im letzten Jahr ein Erfolg gewesen sein. Für die Bemühungen zur Eradikation der Polio war sie ein Rückschlag. Im letzten Jahr stellte sich heraus, dass der US-Geheimdienst ausgerechnet mit Hilfe eines Impfarztes auf die Spur des Staatsfeinds Nummer 1 geraten war.

Der Guardian hatte berichtet, dass Shakil Afridi im Auftrag der CIA eine Impfkampagne in Abbottabad durchgeführt hat, um an DNA-Spuren von bin Laden zu gelangen. Ob die Geschichte stimmt, ist nachrangig. Afridi wurde kurz nach dem Raid der Elitetruppe SEAL verhaftet und später zu 33 Jahren Haft verurteilt (was nicht bedeuten muss, dass er tatsächlich als CIA-Spion einen aktiven Beitrag am Aufspüren bin Ladens geleistet hat).

Dass Afridi gar nicht mit Schluckimpfung gegen Polio geimpft hatte, sondern mit Injektionen gegen Hepatitis, spielt ebenfalls keine Rolle. Bei einer Schluckimpfung wäre Afridi jedenfalls kaum an DNA-Proben von Bin Ladens Kinder gelangt (dass sie genutzt werden konnten, um den Vater zu identifizieren, halte ich ebenfalls für eine gewagte Hypothese). Tatsache ist, dass sich seit den Presseberichten keine Impfärzte mehr in die Provinzen Waziristan wagten. Und im letzten Monat hat die Taliban nach einem Bericht der New York Times der WHO zu verstehen gegeben, dass die Impfungen nicht weiter geführt werden könnten, solange Drohnenangriffe zu befürchten seien.

Waziristan ist dünn besiedelt, aber aus den von den Taliban beherrschten Gebieten gelangen Menschen schnell über die Grenze nach Pakistan, wo nach einer Schätzung von Kathleen O’Reilly vom Imperial College London in einigen Regionen 40 Prozent der Kinder unter 3 Jahren nicht ausreichend gegen Polio geimpft wurden. Dort könnte es jederzeit zu einer erneuten Epidemie kommen. 

Dass diese Gefahr Risiko virulent ist, hat sich in den letzten Jahren gleich mehrfach gezeigt. Das Virus wurde einmal von Indien nach Angola, ein anderes Mal von Nigeria aus in verschiedene Nachbarländer und vermutlich über Pilger bis zum Jemen und nach Indonesien verschleppt. Dann sprang das Virus von Indien nach Tadschikistan, das übrigens zur WHO Europa-Region gehört. Zuletzt wurde auch ein Export von Pakistan nach China bekannt, das zu den ersten poliofreien Ländern des Kontinents gehört hatte.

Durch Impfkampagnen gelang es jedes Mal das Feuer rechtzeitig zu löschen. Doch die Lunte ist noch gelegt. Der Coup der US-Truppen hat sicherlich das Misstrauen geschürt, das in islamischen Ländern endemisch ist. Dort werden Schluckimpfungen als nicht halal eingestuft. Verschwörungstheoretiker beargwöhnen sie als Mittel zum heimlichen Genozid (durch Sterilisierung und HIV-Infektion). Oft kann erst das Auftreten von Kinderlähmungen die Bevölkerung von der Notwendigkeit erneuter Impfungen überzeugen.

Die derzeit wieder günstigen Zahlen - die Infektionen in den Endemieländern Afghanistan, Pakistan und Nigeria sind rückläufig – können deshalb täuschen. Die Polio wird erst eradiziert sein, wenn längere Zeit nirgends auf der Welt ein Kind mehr an Kinderlähmung erkrankt. Wegen der häufigen inapparenten Infektionen und der Gefahr einer Impfstoff-Polio müssen auch danach die Impfungen noch einige Zeit fortgesetzt werden.

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