Polio-Wildviren im Abwasser nachgewiesen, aber geringes Infektionsrisiko für die Bevölkerung

Hamburg/Berlin – Erstmals seit vielen Jahren sind in Deutschland wieder Polio-Wildviren vom Typ 1 (WPV1) nachgewiesen worden. Der Erreger sei in einer Hamburger Abwasserprobe entdeckt worden, teilte die Gesundheitsbehörde der Hansestadt mit.
Die Hamburger Behörde und das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzen das Risiko für die Bevölkerung aufgrund der hohen Impfquoten und des isolierten Nachweises im Abwasser aber als sehr gering ein.
„Der Nachweis von Polio-Wildviren im Abwasser ist ein ungewöhnliches, aber grundsätzlich nicht unerwartetes Ereignis“, schreibt das RKI im Epidemiologischen Bulletin (2025; DOI: 10.25646/13559).
Ähnlich sieht das Andreas Bergthaler, Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie, Medizinische Universität Wien. „Das ist jetzt nicht völlig überraschend angesichts internationaler Reise- und Migrationsaktivitäten bei anhaltender Zirkulation von WPV1 in wenigen Ländern.“
Die Tatsache, dass das Abwasser in Deutschland seit 2021 auf Wildtyp-Polioviren untersucht werde, aber offenbar erst jetzt zum ersten Mal ein Signal detektiert wurde, deute daraufhin, dass es sich um ein örtlich und zeitlich begrenztes Ereignis handelt, so Bergthaler weiter.
Polio-Wildviren kommen nach Angaben der Hamburger Behörde und des RKI weltweit nur noch in Afghanistan und Pakistan vor. Die letzte nachweislich in Deutschland durch WPV erfolgte Poliomyelitis-Erkrankung sei 1990 erfasst worden. „Die letzten beiden importierten klinischen Fälle wurden 1992 registriert“, heißt es in der Mitteilung der norddeutschen Gesundheitsbehörde.
Genaue örtliche Bestimmung nicht möglich
Abwasserproben aus deutschen Großstädten würden fortlaufend durch das RKI und das Umweltbundesamt auf Polio-Viren untersucht, so die Hamburger Behörde. Die Probe mit dem positiven Befund stammt den Angaben zufolge von Anfang Oktober.
„Da es sich um eine Abwassersammelprobe aus Hamburg und teilweise angrenzenden Bundesländern handelt, ist eine genaue örtliche Bestimmung, wo das Virus durch menschliche Ausscheidung in das Abwasser gelangte, nicht möglich.“ Auch lasse sich nicht sagen, ob eine oder mehrere Personen mit dem Virus infiziert sind.
„Es ist aktuell also mit Blick auf diesen Nachweis davon auszugehen, dass es mindestens eine infizierte Person gibt, die das Virus ausscheidet“, erläuterte Carolina Klett-Tammen, Abteilung Epidemiologie (EPID), Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI), Braunschweig. Grundsätzlich sei auch die Ansteckung von weiteren Personen nicht auszuschließen, klinische Symptome wären nur dann zu erwarten, wenn dies ungeimpfte Personen beträfe.
Impfstoff-abgeleitete Polio-Viren mehrfach nachgewiesen
Bereits seit Ende vergangenen Jahres seien in Abwasserproben aus mehreren Orten in Deutschland zirkulierende Impfstoff-abgeleitete Polio-Viren Typ 2 (cVDPV2) nachgewiesen worden, so das RKI. Das Deutsche Ärzteblatt hatte berichtet. Eine Verbindung mit dem jetzt in Hamburg nachgewiesenen Wildtyp bestehe nicht, da es sich um unterschiedliche Typen von Polio-Viren handele.
Grundsätzlich könnten aber beide Polio-Viren-Typen bei Menschen, die nicht oder nicht ausreichend geimpft sind, Kinderlähmung verursachen, so die Behörde und das RKI. In Deutschland und auch in Hamburg sei aufgrund der hohen Impfquoten aber von einer Herdenimmunität innerhalb der Bevölkerung auszugehen.
Impfstatus überprüfen
Das RKI rät im aktuellen Epidemiologischen Bulletin, den Impfstatus zu überprüfen und bestehende Impflücken zu schließen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Grundimmunisierung mit drei Dosen des Vakzins, das inaktivierte Polioviren (IPV) enthält, im Alter von zwei, vier und elf Monaten, gefolgt von einer Auffrischimpfung im Alter zwischen neun und 16 Jahren (Epidemiologisches Bulletin, 2024; DOI: 10.25646/12958).
„Eine vollständige Polioimpfung bietet einen sehr hohen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen“, betont auch Bergthaler. Insofern sei es sinnvoll, neben dem Schließen von Impflücken bei Kindern und Jugendlichen auch vor Reisen nach Afghanistan oder Pakistan an eine Polio-Auffrischimpfung zu denken.
Weiterhin sollten Ärztinnen und Ärzte wachsam sein und an die Differenzialdiagnose Poliomyelitis denken, heißt es im aktuellen RKI-Bericht weiter. Typisch für eine Poliomyelitis seien Symptome einer aseptischen Meningitis und rein motorische Lähmungen (akute schlaffe Paresen). In diesen Fällen sollte differenzialdiagnostisch die Infektionskrankheit in Betracht gezogen werden.
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