Prävalenz von ADHS weltweit nicht angestiegen – Nachfrage nach Diagnostik schon

London – Eine neue Übersichtsarbeit zur Prävalenz von Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), die gerade im Journal of Affective Disorders veröffentlicht wurde, zeigt, dass es seit 2020 keinen signifikanten Anstieg der ADHS-Prävalenz weltweit gegeben hat (JAD 2025; DOI: 10.1016/j.jad.2025.119427).
Diese nach Angaben von Wissenschaftlern des Institute of Psychiatry, Psychology & Neuroscience (IoPPN) am King’s College London erste systematische Übersichtsarbeit zur ADHS-Prävalenz seit Beginn der COVID-19-Pandemie hob die begrenzte Qualität der verfügbaren Studien hervor.
Trotz dieser Einschränkungen fanden demnach die besten verfügbaren Daten keinen signifikanten Anstieg der ADHS-Prävalenz. Insgesamt wurden 40 Studien in die Übersichtsarbeit einbezogen. Alle eingeschlossenen Studien präsentierten Originaldaten, die zwischen Januar 2020 und Februar 2024 aus der allgemeinen Weltbevölkerung erhoben wurden.
Eine Analyse der besten verfügbaren Daten zeigte, dass die Diagnosehäufigkeit von ADHS international weiterhin variiert. In den USA wurden beispielsweise zwischen 9,6 Prozent und 10,5 Prozent der Kinder im Alter von drei bis 17 Jahren diagnostiziert. In Kanada sind es 7,5 Prozent von 288.248 Kindern und jungen Erwachsenen im Alter von ein bis 24 Jahren, und in Schweden 3,2 Prozent von 70.437 Kindern im Alter von null bis 17 Jahren.
Neuere Studien, die höhere Raten von ADHS-Diagnosen nahelegten, waren laut den Autoren von geringer Qualität und basierten lediglich auf Selbstauskunftserhebungen oder von Eltern/Lehrern berichteten Symptomen, nicht auf klinischen Diagnosen.
„Die Medien zeigen sich seit mehreren Jahren über einen ‚Anstieg‘ der ADHS-Diagnosen besorgt“, berichtete Samantha Brooks, Seniorautorin der Studie, bei einem Onlineexpertengespräch vom Science Media Center. Allein zwischen Januar und Mai 2024 seien 25.080 Artikel über ADHS veröffentlicht, verglichen mit 5.775 Artikeln im gleichen Zeitraum 2014. Die Veröffentlichungen haben ihr zufolge ab 2020 deutlich zugenommen und Anfang 2023 ihren Höhepunkt erreicht.
„Während das Hilfesuchverhalten möglicherweise zunimmt, hat unsere Studie signifikante Lücken in der Verfolgung der ADHS-Prävalenz aufgezeigt, was zu einem frustrierend unklaren Bild führt“, sagte Alex Martin, Dozentin für Psychologie am IoPPN und Erstautorin der Studie.
„Die besten Daten, die wir haben, deuten darauf hin, dass es keinen bedeutenden Anstieg der ADHS-Prävalenz gegeben hat, doch die meisten Studien sind zu voreingenommen“, berichtete Martin.
Wenn Daten nicht zuverlässig seien, könnten Wissenschaftler keine qualitativ hochwertige Forschung durchführen. Dies verursache Probleme für die Gesundheitssysteme, die möglicherweise einer erhöhten Nachfrage begegneten, ohne zusätzliche Unterstützung zu erhalten.
„Was wir nicht erklären können, und was vielleicht die größte offene Frage ist, warum es einen beispiellosen Anstieg der Anzahl von Personen gibt, die Hilfe bei ADHS suchen“, betonte Alex Martin.
„Diese Studie stellt uns vor ein Rätsel. Wie kann die ‚wahre‘ Rate von ADHS nicht steigen, obwohl die Nachfrage nach ADHS-Diagnostik zunimmt?“, sagte auch Philip Shaw, Director am King’s Maudsley Partnership for Children and Young People.
Es könne durchaus sein, dass ein erhöhtes Bewusstsein für ADHS dazu führt, dass mehr Menschen eine Diagnostik suchen. Doch nur qualitativ hochwertige und ordnungsgemäß durchgeführte Forschung könne die Ursache dafür benennen.
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