Medizin

Prostatakarzinom: Genetischer Fingerabdruck sagt aggressives Wachstum voraus

  • Dienstag, 10. Januar 2017
Uploaded: 10.01.2017 13:59:08 by mis
Ein stilisiertes Bild eines Prostatakarzinoms eines Mannes mit einer BRCA2-Mutation /Monash University

Toronto/Melbourne – Die genetische Analyse von fast 500 Prostatakarzinomen hat zur Entdeckung eines genetischen Fingerabdrucks geführt, der laut der Publikation in Nature (2017; doi: 10.1038/nature20788) die Aggressivität eines Tumors vorhersagt. Eine weitere Studie in Nature Communications (2017; doi: 10.1038/ncomms13671) erklärt, warum BRCA1-Mutationen fast immer zu einem aggressiven Wachstum führen. 

Genmutationen sind die Ursache von Krebserkrankungen, und die Art der Treiber­mutation entscheidet darüber, wie rasch ein Tumor wächst und wie stark seine Neigung zur Metastasierung ist. Weltweit wird deshalb in vielen Zentren das Erbgut von Tumoren entschlüsselt. Dies geschieht einmal in der Hoffnung, neue Therapieansätze zu finden. Zum anderen wird nach einem genetischen Fingerabdruck gesucht, der das spätere Verhalten des Tumors vorhersehbar macht.

Letztere Information wäre vor allem beim Prostatakarzinom wertvoll, da die meisten Tumore sehr langsam wachsen und die Lebenserwartung der zumeist bereits hoch­betagten Männer nicht gefährden. Es gibt jedoch eine Gruppe von aggressiven Tumoren, die eine sofortige radikale Prostatektomie oder Radiotherapie rechtfertigen trotz der damit verbundenen Nachteile für den Patienten, der nach der Behandlung häufig unter Inkontinenz oder Impotenz leidet.

Ein Team um Robert Bristow und Paul Boutros von der Universität Toronto hat in der bisher größten Studie das komplette Genom von 200 Prostatakarzinomen entschlüsselt. Bei 277 weiteren Tumoren  wurde das komplette Exom sequenziert. Das ist der Teil des Erbguts, der die Informationen für Proteine speichert. In einem Teil der Tumore wurde auch die RNA untersucht. Dies ermöglicht einen Überblick darüber, welche Gene aktuell abgelesen werden. Methylierungsanalysen zeigen, welche Gene die Krebszellen abrufen könnten.

Der Aufwand sollte sich lohnen. Die Forscher fanden tatsächlich einen genetischen Fingerabdruck. Er kennzeichnet aggressive Tumore, die trotz Operation oder Radio­therapie im Frühstadium rasch fortschreiten. Der genetische Fingerabdruck besteht aus 40 Merkmalen. Darunter waren drei Veränderungen in der Mutationsdichte, eine Verdichtung von Hypermutationen (Kataegis), eine Häufung von Umlagerungen der Chromosomenabschnitte (Chromothripsis), fünf Mutationen im Exom und sechs Mutationen in nichtkodierenden Anteilen des Genoms, sechs Stellen mit verändertem Methylierungsmuster, sechs Umlagerungen eines einzelnen Chromosomabschnitts (Translokation), vier 180-Grad Drehungen von Genen (Inversionen) und acht Verände­rungen in der Zahl der Genkopien.

Diese einzelnen Merkmale gingen entweder mit einem deutlichen Anstieg der Aggressi­vi­tät einher oder sie zeigten ein eher langsames Wachstum an. Beide Informationen könnten für einen Gewebetest genutzt werden, der die Prognose des Patienten vorher­sagt. Er könnte in Zukunft anzeigen, welche Patienten eine intensive Therapie benötigen und welchen die damit verbundenen Belastungen erspart werden könnten.

Ein erster Test mit einem multi-modalen Biomarker kam zu einem vielversprechenden Ergebnis: In einer ROC-Kurve wurde ein Wert von 0,83 erzielt (1,0 würde eine 100-prozentige Treffsicherheit anzeigen, 0,5 wäre ein Zufallsergebnis). Das ist zwar deutlich mehr als der klinisch wertlose PGA-Score (ROC-Wert 0,61) erreicht. Der genetische Fingerabdruck wurde allerdings an den Tumoren erprobt, an denen er entwickelt wurde. Das ergibt häufig ein verzerrtes Ergebnis. Die Forscher wollen den Test deshalb in den nächsten drei Jahren an 500 weiteren Patienten validieren. Erst dann werden Aussagen über den klinischen Wert des genetischen Fingerabdrucks möglich sein.

In einer weiteren Studie hat Bristow zusammen mit Gail Risbridger von der Monash Universität in Melbourne die lokalisierten Prostatakarzinome von 14 Patienten untersucht, die Träger der Mutation BRCA1 waren. BRCA1 kodiert Bestandteile eines Tumorsuppressors, der beschädigte DNA-Abschnitte repariert. Ein Ausfall durch Mutation im BRCA1-Gen geht mit einem erhöhten Krebsrisiko einher. Bei Frauen kommt es in erster Linie zu Brustkrebs und Ovarialkarzinom. Männer haben ein deutlich erhöhtes Lebenszeitrisiko auf ein Prostatakarzinom, das dann in der Regel sehr aggressiv ist. Die Hälfte der Patienten stirbt innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose eines lokalisierten BRCA1-positiven Prostatakarzinoms.

Vor dem Hintergrund der Bedeutung der DNA-Reparatur ist es nicht überraschend, dass Bristow und Risbridger eine Vielzahl von genetischen Veränderungen im Erbgut der Tumorzellen fanden. Darunter waren zahlreiche Veränderungen, die normalerweise erst im späteren Verlauf der Erkrankung auftreten, wenn die Tumore eine Resistenz gegen eine Hormontherapie entwickelt haben. Besonders ungünstig ist die Situation bei Patienten mit einem intraduktalen Karzinom der Prostata. Dies ist eine Besonderheit des Prostatakarzinoms. Bei anderen Karzinomen, etwa in der Brust, ist ein intraduktales Karzinom eher eine Vorstufe als eine aggressive Variante.

Die beiden Forscher raten beim BRCA1-positiven Prostatakarzinom auch im Früh­stadium zu einer aggressiven Behandlung, beispielsweise mit einem PARP-Inhibitor oder einer Chemotherapie. Ob dies sinnvoll ist, müsste jedoch erst in klinischen Studien untersucht werden.

rme

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