Medizin

Psychiater sehen „isolierte höhenbedingte Psychose“ als eigenes Krankheitsbild

  • Freitag, 29. Dezember 2017
/arsdigital, stock.adobe.com
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Bozen/Innsbruck – Notfallmediziner von Eurac Research aus Bozen und Psychiater der Medizinischen Universität Innsbruck haben psychotische Episoden in extremen Höhen analysiert und beschreiben jetzt ein neues Krankheitsbild: die isolierte höhenbedingte Psychose. Ihre Studienergebnisse hat das Fachjournal Psychological Medicine veröffent­­licht (2017; doi: 10.1017/S0033291717003397).

Die Forscher geben ein Beispiel: Als Jeremy Windsor im Jahr 2008 den Mount Everest bestieg, machte er in den einsamen Bergen eine seltsame Erfahrung, die er mit vielen Extrembergsteigern teilt. Auf 8.200 Höhenmetern traf er einen Mann namens Jimmy, der ihn den ganzen Tag begleitete, einige ermunternden Worte zu ihm sprach und dann spurlos verschwand.

Kurzvideo zur isolierten höhenbedingten Psychose /youtube, Eurac Research

Erzählungen wie diese sind in der Alpinliteratur häufig. Bislang führten Mediziner das oben beschriebene „Dritte-Mann-Phänomen“ sowie andere akustische, optische und olfaktorische Halluzinationen auf organische Ursachen zurück. Sie treten neben Symptomen wie starken Kopfschmerzen, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen häufig als Begleiterscheinung eines Hirnhöhenödems auf.

Katharina Hüfner, Dozentin an der Universitätsklinik für Psychiatrie II in Innsbruck und Hermann Brugger, Leiter des Instituts für Alpine Notfallmedizin, haben mit ihrem Team jetzt rund 80 psychoti­sche Episoden aus der deutschen Bergliteratur gesammelt und ihre Symptome systema­tisch analysiert. Sie kommen zu einem anderen Ergebnis.

Rein psy­chotisch

„Durch die Studie haben wir herausgefunden, dass es eine Gruppe von Symptomen gibt, die rein psy­chotisch sind, das heißt, dass sie zwar mit der Höhe zusammen­hängen, jedoch weder auf ein Höhenhirnödem noch auf andere organische Faktoren wie Flüssig­keits­verlust, Infektionen oder organische Erkrankungen zurückzuführen sind“, erläuterte Brugger.

Die isolierte höhenbedingte Psychosen tritt meist über 7.000 Höhenmetern auf. Über ihre Ursachen können die Forscher derzeit nur Mutmaßungen anstellen: Faktoren wie Sauerstoffmangel, der Umstand, völlig auf sich allein gestellt zu sein und eine beginnende Schwellung in gewissen Hirnregionen könnten die Psychose auslösen. Soweit bekannt, verschwinden die Symptome vollständig, sobald die Alpinisten die Gefahrenzone verlassen und vom Berg absteigen – außerdem erleiden sie keine Folgeschäden.

„Diese Erkenntnis erlaubt es uns, vorübergehende Psychosen an ansonsten völlig gesunden Menschen genauer zu untersuchen, das kann uns wichtige Hinweise zum Verständnis psychiatrischer Krankheiten geben“, so Hüfner.

Es ist laut den Forschern wichtig, dass Bergsteiger die Studienergebnisse kennen, um Unfälle zu vermeiden.

Im kommenden Frühjahr wollen die Forscher in Zusammenarbeit mit nepalesischen Ärzten weitere Untersuchungen im Himalayagebiet durchführen. Unter anderem wollen sie herausfinden, wie häufig die Krankheit auftritt.

hil

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