Ärzteschaft

Psychologie soll helfen, emotional gesund zu bleiben

  • Donnerstag, 7. November 2024
/dpa, Thomas Frey
/dpa, Thomas Frey

Berlin – In Zeiten des Klimawandels ist es eine Zielsetzung der Psychologie, Menschen angesichts zunehmend bedrohlicher werdender Naturereignisse dabei zu unterstützen, emotional gesund zu bleiben. Darauf verweist der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) in seinem Klimabericht 2024 „Psychologische Perspektiven im Klimawandel: Strategien und Konzepte“.

„Die Bedrohung durch diese epochale Krise, die die Handlungsmöglichkeiten von Individuen und ganzen gesell­schaftlichen Systemen weit übersteigt und deren Bedingungen sich ständig verändern, bereitet vielen Menschen Sorgen“, heißt es in dem Bericht.

„Sie lässt immer mehr von ihnen auch mit Ängsten und Gefühlen von Hilflosigkeit, Frustration, Ärger oder Wut zurück.“ Die Klimakrise sei somit auch eine Krise der psychischen Gesundheit. Deshalb müsse psychologisches Wissen wesentliche Grundlage aller Planungen und aller konkreten Maßnahmen zur Bewältigung und Eindämmung der Klimakrise sein.

Der BDP sieht vor diesem Hintergrund zwei zentrale Herausforderungen: die Anpassung und die Transformation. „Es sind bereits unumkehrbare Veränderungen eingetreten und weitere unabwendbare Veränderungen sind zu erwar­ten“, heißt es in dem Klimabericht.

„Diese erfordern, dass sich Individuen, Institutionen und ganze Gesellschaften auf die veränderten Rahmenbedin­gun­gen einstellen müssen.“ Psychologische Zielstellung hierfür sei, Menschen dabei zu unterstützen, gesund zu bleiben und dafür entsprechende Strategien zu entwickeln.

Im Hinblick auf die Transformation brauche es eine ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltige Entwicklung, um weitere Schäden an Ökosystemen und Lebensbedingungen zu verhindern. Psychologische Zielstellung hierfür sei es, Menschen dabei zu unterstützen, an solchen Veränderungsprozessen gesund, selbstwirksam und erfolgreich teilzu­haben.

Materialistische Vorstellungen infrage stellen

Der BDP rät dabei dazu, selbst aktiv zu werden, statt darauf zu setzen, dass die Politik die Klimakatastrophe noch verhindert. „Erst eine emotionale Verarbeitung der Klimakrise kann zusammen mit der Befriedigung der Grundbe­dürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und Zugehörigkeit und der Bereitstellung klarer Handlungsempfehlungen sowie der Vermittlung von Selbstwirksamkeit in der notwendigen Breite zu adäquatem Handeln motivieren“, heißt es in dem Klimabericht.

„Lediglich auf eigentlich dringend erforderliche politische Entscheidungen zu hoffen, wird sich – ausgehend von den Erfahrungen der vergangenen vier Jahrzehnte – als ebenso wenig nachhaltig resilient erweisen, wie politisch allein auf Veränderungen im individuellen Konsumverhalten zu setzen.“

In dem Bericht ist auch das 10-Punkte-Paper zur Förderung von Klimaaktivitäten der Europäischen Vereinigung der Psychologenverbände (EFPA) enthalten, der der BDP angehört.

„Das Streben nach Nachhaltigkeit stellt gängige materialistische Vorstellungen von Erfolg und Glück infrage und deutet darauf hin, dass ein höheres Maß an Wohlbefinden auch durch einen umweltfreundlicheren und weniger konsumgesteuerten Lebensstil erreicht werden kann“, heißt es darin. „Dieser Wandel erfordert eine erhebliche psychologische und kulturelle Anpassung, weg von konsumorientierten Werten, hin zu einer nachhaltigeren Lebensweise.“

Menschliche Emotionen können dabei ein Antreiber für den Wandel sein. „Emotionen wie beispielsweise umwelt­bezogene Ängste spielen eine komplexe Rolle bei der Motivation zum Handeln; sie können sowohl anpassungsför­dernd als auch kontraproduktiv sein“.

Die „emotionale Wende“ in der Umweltkommunikation erkenne Emotionen als wichtige Antriebskräfte an. Dabei sei jedoch Vorsicht angezeigt, insbesondere angesichts potenzieller negativer Auswirkungen auf das psychische Wohl­befinden sowie der Gefahr, sich zu sehr auf emotionale Ansprache zu verlassen, um umweltfreundliches Verhalten zu fördern.

Einen Fokus legt der BDP in seinem Klimabericht auf die Bildung von Resilienz, um psychisch gesund zu bleiben. Der Klimastress, der die multiple akute und vermittelte sowie antizipierte Bedrohtheit durch den Klimawandel umfasst, erfordere eine individuelle und kollektive Bewältigungsreaktion. „Das Resilienzkonzept als ein bewährtes Verständnis von Krisenbewältigung kann dabei helfen, dass es Menschen besser und nachhaltig gelingt, auf die Klimakrise zu reagieren“, heißt es in dem Klimabericht.

„Hierbei stellt sich die Frage, wie Menschen, Institutionen und ganze Gesellschaften unterstützt werden können, angesichts existenzieller Herausforderungen nicht auf maladaptive beziehungsweise dysfunktionale Strategien auszuweichen (Verdrängung, Verleugnung, Wirksamkeitssimulationen, Bagatellisierung – also Strategien der Un­tätigkeit) oder gar handlungsunfähig zu werden, sondern im Gegenteil wirksam handlungsfähig zu bleiben oder zu werden und so die Krise mit einzudämmen und zur Lösung beizutragen.“

Dabei sei grundsätzlich zwischen individueller und kollektiver Resilienz zu unterscheiden. „Während bei der indi­viduellen Resilienz vor allem die Gesundheit und das Überleben einzelner Personen im Fokus stehen, wirkt die kollektive Resilienz auf Gruppen, Organisationen sowie ganze Regionen oder Gesellschaften“, heißt es in dem Klimabericht.

Klimakrise nicht mehr unterschätzen

Ein Ziel, zu dem Resilienz führen kann, ist die Anpassung. „Im Kontext epochaler Herausforderungen wie der Klima­krise stellt der Weg der Anpassung jedoch nur eine Facette dar, die zu Resilienz beiträgt“, heißt es weiter. „Und sie reicht gar nicht aus, denn manche Gebiete oder auch Individuen sind schon jetzt zu stark betroffen. Wenn die Klimaveränderungen mit dem Erreichen von physikalischen Kipppunkten zu stark werden, könnte dies die indi­viduelle und systemische Anpassungskapazität übersteigen.“

Schocks jenseits der Tipping Points ließen auch resiliente komplexe Systeme unweigerlich kollabieren. Das be­deute vor dem Hintergrund des Ausmaßes der Klimakrise, dass sich nur diejenigen Gesellschaften und ihre Institu­tionen und Mitglieder nachhaltig als resilient erweisen würden, die das Erreichen bestimmter kritischer Punkte – ökologisch, sozial, ökonomisch – erfolgreich verhindern können.

Der BDP warnt vor diesem Hintergrund ausdrücklich und mit Verweis auf die Berichte des Weltklimarates davor, die Klimakrise und ihre Folgen weiter zu unterschätzen. Nur ein wirksamer Klimaschutz, der die langfristige Entwick­lung menschlicher Lebensbedingungen im Blick behält, sei auch ein wirksamer Umwelt-, Gesundheits- und schließlich Bevölkerungsschutz.

fos

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