Resistenzen: WHO warnt vor Post-Antibiotika-Ära

Genf – Der weitgehende Wirkungsverlust von antimikrobiellen Medikamenten ist für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) keine Bedrohung der Zukunft mehr, sondern eine globale Realität. Der stellvertretende Generaldirektor Keiji Fukuda warnte bei der Vorstellung des ersten WHO-Reports zur Resistenzproblematik sogar vor dem bevorstehenden Beginn einer Post-Antibiotika-Ära.
Ohne koordiniertes Handeln aller Verantwortlichen könnte schon bald der Zustand eintreten, dass häufige Infektionen und leichte Verletzungen, die in den letzten Jahrzehnten relativ einfach behandelt werden konnten, zu einer tödlichen Gefahr würden, meinte Fukuda. Er warnte, dass effektive Antibiotika die längste Zeit eine der Säulen für ein längeres und gesünderes Leben gewesen sein könnte, wenn nicht sofort signifikante Gegenmaßnahmen ergriffen würden. Dieser Pessimismus gründet sich auf eine Umfrage in allen 194 Mitgliedsländern der Organisation.
Es beginnt damit, dass nur 129 Länder antworteten und nur 114 Länder wenigstens zu einem der angesprochenen Problemfelder Daten liefern konnten. Die WHO hatte sich auf sieben häufige Bakterien und neun Antibiotikaklassen konzentriert. Zu den problematischen Erregern gehört Klebsiella pneumoniae, ursprünglich ein normaler Bewohner des Magen-Darm-Trakts, inzwischen aber ein gefürchteter Erreger nosokomialer Infektionen wie Pneumonie oder Bakteriämie, der Neugeborene ebenso bedroht wie Intensivpatienten. K. pneumoniae ist laut dem WHO-Report nicht nur weitgehend resistent gegen Cephalosporine der dritten Generation.
Auch Carbapenem-Antibiotika würden heute bei mehr als der Hälfte der Patienten nicht mehr wirken. Der zweite Problemkeim ist E. coli. In den 1980er Jahren konnte der Erreger von Harnwegsinfektionen und Bakteriämien noch problemlos mit den damals gerade eingeführten Fluorchinolonen bekämpft werden. Heute würden diese Antibiotika in vielen Ländern der Erde in mehr als der Hälfte der Infektionen nicht mehr wirken.
Auch Resistenzen gegen Cephalosporine der dritten Generation sind weit verbreitet. Der dritte nosokomiale Erreger ist der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA). Infektionen mit diesem Keim verlaufen laut WHO schon heute zu 64 Prozent häufiger tödlich als die gleiche Infektion mit antibiotika-empfindlichen Staphylokokken.
Außerhalb der Klinik sorgen der WHO zufolge vier Keime für Probleme. Dazu gehört Streptococcus pneumoniae, das in allen Erdteilen Resistenzen gegen Penicilline entwickelt hat. In drei von sechs WHO-Regionen sprechen Salmonellen häufig nicht mehr auf Fluorochinolone an. Diese Antibiotikagruppe wirke in zwei WHO-Regionen nicht mehr zuverlässig gegen Shigellen. Auch Neisseria gonorrhoea entwickelt sich zunehmend zu einem Problemkeim. Die WHO verweist auf Berichte aus verschiedenen Industrieländern über zunehmende Resistenzen gegen Cephalosporine.
Doch nicht nur Bakterien haben Resistenzen entwickelt. Auch Parasiten wie Plasmodium falciparum können sich den pharmakologischen Angriffen entziehen. Der WHO bereiten derzeit Berichte über Artemisinin-Resistenzen in Kambodscha und angrenzenden Ländern Sorgen. Auch Viren wie HIV und die Grippe-Erreger sind anfällig. Bei 10 bis 17 Prozent aller HIV-Infizierten liege mittlerweile schon vor Therapiebeginn eine Resistenz gegen einen antiretroviralen Wirkstoff vor. Grippe-Viren seien zwar nur zu 1 bis 2 Prozent resistent gegen Oseltamivir, der Anteil steige aber rasch an, sobald der Wirkstoff bei einer größeren Anzahl von Patienten eingesetzt wird.
Es ist nicht das erste Mal, dass die WHO vor der Resistenzproblematik warnt. Den letzten Versuch hatte die damalige Generaldirektorin Gro Harlem Brundtland unternommen. Ihr Appel vor einer globalen Krise wurde ausgerechnet am 11. September 2001 veröffentlicht, aber kaum beachtet, da sich die Weltöffentlichkeit plötzlich mit einem ganz anderen Thema konfrontiert sah.
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