Rheumatische Herzkrankheit: Drei Viertel aller Todesfälle in nur fünf Ländern

Seattle – Bakteriell ausgelöste rheumatische Herzkrankheiten nehmen in den letzten 25 Jahren weltweit immer weiter ab. Jedoch profitieren nicht alle Länder gleichermaßen vom medizinischen Fortschritt. In den ärmsten Regionen der Welt haben Prävalenz und Sterblichkeit seit 1990 kaum abgenommen, wie Forscher der University of Washington im New England Journal of Medicine berichten (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1603693). Drei Viertel aller Todesfälle aufgrund rheumatischer Herzkrankheiten treten daher in nur fünf Ländern auf. Die Autoren des Editorials warnen zudem vor einer hohen Dunkelziffer.
An rheumatischen Herzkrankheiten, wie sie häufig bei rheumatischem Fieber auftreten, starben 1990 weltweit 347.500 Menschen. Bis ins Jahr 2015 ist die Mortalität um acht Prozent auf 319.400 Todesfälle zurückgegangen, schätzen die Forscher um Gregory A. Roth vom Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) an der University of Washington.
Dennoch spricht Roth von einer „Tragödie“, da rheumatische Herzkrankheiten für einige Länder weiterhin ein lebensbedrohliches Problem darstellen. Zu den Ländern mit der höchsten Sterblichkeit im Jahr 2015 zählen Indonesien (1.18 Millionen), die Demokratische Republik Kongo (805.000), Indien (119.100), China (72.600) und Pakistan mit 18.900 Todesfällen. Zusammengerechnet vereinen sie 73 Prozent aller Todesfälle weltweit.
Die meisten Todesfälle pro 100.000 Einwohner (mehr als 10/ 100.000) treten hingegen in Zentralafrika, den Föderierten Staaten von Mikronesien, Fidschi, Indien, Kiribati, Lesotho, den Marshallinseln, Pakistan, Papua-Neuguinea, den Salomoninseln und Vanuatu auf. In diesen Ländern leidet etwa ein Prozent der Schulkinder an einer rheumatischen Herzkrankheit. Ihnen blieben medizinische Mittel oder ein operativer Eingriff verwehrt, die das Fortschreiten der Krankheit aufhalten würden, sagt David Watkins, Erstautor der Studie von der Division of General Internal Medicine an der University of Washington School of Medicine. Wie zumindest eine frühe Diagnose gelingen könnte, haben Forscher aus Melbourne kürzlich im The Lancet Global Health beschrieben.
Die Forscher haben die Daten der „GBD 2015“-Studie (für Global Burden of Disease) ausgewertet und die Ergebnisse mit einer früheren Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 1990 verglichen. Die Qualität der Daten, die sich auf Angaben aus Sterberegistern und anderen amtlichen Statistiken stützen und die Ergebnisse epidemiologischer Studien berücksichtigen, ist fraglich, da gerade in den am meisten betroffenen Ländern kaum statistische Daten erhoben werden. Die von Roth ermittelte Zahlen dürften jedoch die derzeit beste Annäherung an den Status quo sein.
Kritik an Ungleichgewicht bei Fördergeldern
Da subklinische Befunde von der Analyse ausgeschlossen wurden, könnten weit mehr Menschen betroffen sein, warnen die Autoren des Editorials. Sie gehen davon aus, dass zu jedem klinischen Fall drei bis zehn subklinische Fälle hinzukommen, die mittels Echokardiografie erkannt werden. Da die Krankheit in der westlichen Welt so gut wie besiegt sei, würde sie in den letzten Jahren vernachlässigt, kritisieren Eloi Marijon, David Celermajer und Xavier Jouven aus Paris und Sydney. Sie befürchten zudem, dass die Erkrankung angesichts der aktuellen Migrationsströme nach Europa wieder häufiger auftreten könnten.
Ganz anders gestalte sich hingegen das Engagement bei HIV/Aids, Tuberkulose oder Malaria. Zwar bedeuten diese Krankheiten für drei- bis fünfmal so viele Menschen den Tod im Vergleich zum rheumatischen Fieber. Dennoch stehen die Ausgaben für Forschung in keinem Verhältnis. Sie übersteigen die Fördergelder um das 500- bis 1.000-fache.
Vor der Entwicklung der Antibiotika gehörte das rheumatische Fieber zu den schlimmsten kardiovaskulären Geißeln der Menschheit. Heute sind Kinder, die sich im Anschluss an eine unbehandelte Streptokokken-Angina mit akutem Fieber, Hautausschlag und geschwollenen Gelenken vorstellen und bei denen der Kinderarzt ein Herzgeräusch feststellt, eine absolute Ausnahme. Die konsequente Behandlung von bakteriellen Racheninfektionen mit Penicillin hat dazu geführt, dass die gefürchtete Folge der Streptokokken-Angina, die Zerstörung der Herzklappen durch Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen, sehr selten geworden ist. Auch das soziale Umfeld, das etwa durch durch das enge Zusammenleben unter hygienisch prekären Verhältnissen die Ausbreitung von Strektokokken begünstigt, hat sich verbessert.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: