Ausland

„Auf Deutschland und Europa kommt jetzt eine besondere Verantwortung zu“

  • Donnerstag, 13. Februar 2025

Berlin/München – Hilfsprogramme, die abgewickelt werden, eingefrorene Gelder und Überarbeitungen von Webseiten wegen der Wortwahl: Vor möglichen „katastrophalen Folgen“ der Entwicklungen in der Gesundheitspolitik der Vereinigten Staaten für Menschen mit HIV und anderen Infektionskrankheiten warnen mehrere deutsche infektiologische Fachgesellschaften und Verbände. Die Entscheidungen der Trump-Regierung gefährdeten die globale Gesundheit, mit großem menschlichem Leid, Krankheit und Tod als Folgen.

„Wir appellieren an die deutsche Politik, ähnliche Entwicklungen zu verhindern und die Freiheit der Wissenschaft zu schützen“, erklärten die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI), die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG), die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin (dagnä) kürzlich.

Warnungen speziell in Bezug auf Folgen von Trumps Politik für HIV-Infizierte in ärmeren Weltregionen hatte es unter anderem auch von der WHO, UNAIDS und der Deutschen Aidshilfe gegeben.

TUM Universitätsklinikum/B. Claße
TUM Universitätsklinikum/B. Claße

5 Fragen an Christoph Spinner, Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie am Klinikum der Technischen Universität München und unter anderem Mitglied von DGI, DAIG und dagnä.

Herr Spinner, mit den Schlagzeilen aus den USA kann man kaum noch Schritt halten. Welche Aspekte beschäftigen Sie und die infektiologischen Fachgesellschaften besonders?
Offenbar wird in den USA neuerdings Sexual- und HIV-Prävention genauso wie Beratung zu Schwangerschaftsabbrüchen, also zu sexueller Gesundheit, ideologisiert. Es ist eine Absage an den Ansatz, auf der Basis von wissenschaftlicher Evidenz medizinisch sinnvoll zu agieren und allen Menschen die gebotene Prävention und Therapie zu ermöglichen. Und das obwohl mit diesem Ansatz in den vergangenen Jahrzehnten enorme Fortschritte für die sexuelle Gesundheit erzielt werden konnten.

Die gesamte Gemengelage stimmt mich mehr als nachdenklich: Globale Übereinkünfte, beispielsweise die Zusammenarbeit in der WHO zur Verbesserung der globalen Gesundheit, aber auch akzeptierte globale Programme zur Unterstützung von ressourcenärmeren Regionen mit qualitativ höherwertiger medizinischer Forschung werden konterkariert.

Aus der Ferne wirkt es fast so, als sei der gesellschaftliche Grundkonsens aufgegeben worden, globale Gesundheitsherausforderungen auch global zu sehen und wirksam zu verbessern. Neben dem Verlust der Solidarität gegenüber einer globalen Gesundheitsförderung wird damit auch die Chance aufgegeben, auf bekannte und neue gesundheitliche Herausforderungen global zu reagieren.

Sehen Sie Gruppen oder Menschen in bestimmten Regionen beziehungsweise mit bestimmten Krankheiten, die gesundheitlich besonders unter den Entwicklungen leiden werden?
Menschen mit HIV-Infektion und anderen Infektionskrankheiten dürften nach allem, was bisher bekannt ist, dazu zählen. Das sehr erfolgreiche US-Programm President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR) zum Beispiel wurde eingefroren und steht vor einer ungewissen Zukunft – auch wenn es kürzlich wieder teilweise den Betrieb aufnehmen konnte.

Es ermöglichte bisher mehr als 20 Millionen Menschen in mehr als 50 Ländern eine lebensrettende und wirksame HIV-Behandlung. Seit dem Start 2003 wurden allein 26 Millionen Todesfälle verhindert und viele Millionen Menschen weltweit vor potenziellen Neuinfektionen geschützt.

Sollte das Programm nicht oder nicht mehr in seinem bisherigen Umfang fortgeführt werden, drohen in Teilen schon überwunden geglaubte Entwicklungen wieder eine größere Rolle zu spielen – beispielsweise ein häufigeres Auftreten von AIDS als Komplikation einer unbehandelten HIV-Infektion. Darüber hinaus wird die Wahrscheinlichkeit der Weitergabe von Erregern erhöht.

Wirksame HIV-Therapien retten weltweit Leben und reduzieren das Übertragungsrisiko – global und damit auch bei uns! Es profitiert also die ganze Welt von globalen Programmen zur Bekämpfung von Infektionserkrankungen.

Dass Menschenleben gefährdet werden, betrifft aber nicht nur Infektionserkrankungen, sondern genauso andere politisch-ideologisch beeinflusste medizinische Versorgungsbereiche. Zuletzt wurde eine US-weite Mittelkürzung aller National Institution of Health (NIH) Förderprogramme verkündet, damit wurden praktisch alle Felder der medizinischen Forschung vor eine enorme Herausforderung gestellt.

Die USA bekommen seit Monaten das Vogelgrippevirus nicht unter Kontrolle. Auf Trumps Amtsantritt folgte jedoch neben dem angekündigten WHO-Austritt auch eine angeblich vorübergehende Kommunikationssperre für die US- Gesundheitsbehörden. Was wäre, wenn von dort eine Pandemie ausginge?
Die WHO hat vor allem koordinative Aufgaben und gerade in Situationen globaler Bedrohungen, wie es beispielsweise auch eine Influenzapandemie sein könnte, müssten Hinweise und vielleicht auch Reaktionsempfehlungen beziehungsweise globale Aktionen abgestimmt werden. Wenn dieser Austausch verloren geht und dadurch zusätzliche Hürden entstehen, leiden die Reaktionsgeschwindigkeit und die Fähigkeit zur gezielten und angemessenen Reaktion.

Eine neue Pandemie würden wir früher oder später zwangsläufig mitbekommen, aber wir würden viel mehr Zeit brauchen, um die relevanten Informationen zu beschaffen. Dies wäre auch um ein Vielfaches komplexer. Dadurch würden Menschenleben gefährdet. Denn die Vogelgrippe würde – siehe COVID-19 – weder an der (US-)Grenze noch am Flughafen Halt machen.

Es ist zu hoffen, dass Beschäftigte in den Gesundheitsbehörden der USA sich trotz des derzeitigen Klimas der Angst nicht politisch einschüchtern lassen und Erkenntnisse, zumindest in der Fachwelt, teilen. Außerhalb der Seuchenschutzbehörden gibt es zum Glück auch noch Kolleginnen und Kollegen in den Universitäten sowie Behandelnde in der Human- und Tiermedizin sowie unabhängige Fachjournale, durch die es im Ernstfall hoffentlich noch eine gewisse Kommunikation gäbe.

Rechnen Sie auch mit Auswirkungen von Trumps Gesundheitspolitik für Deutschland und wenn ja, wie sollte die Politik hier reagieren?
Ganz sicher. Auf Deutschland und Europa kommt jetzt eine besondere Verantwortung zu, weiter für den evidenzbasierten Ansatz der Wissenschaft und Medizin einzustehen. Das Commitment zur globalen Gesundheit der USA ist offensichtlich nicht mehr gegeben. Das bedeutet natürlich, dass die Mittelverluste, die in großen wissenschaftlichen Förderprogrammen auftreten, von anderen Ländern aufgefangen werden müssten - zumindest sofern eine globale Verschlechterung der Gesundheitssituation verhindert werden soll.

Hinzu kommt, dass nun hinter der Fortführung von internationalen Kollaborationen teils Fragezeichen stehen. Es gibt aber auch deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die auf die eingefrorenen US-Mittel beispielsweise des National Institutes of Health (NIH) angewiesen sind.

Letztlich muss man auch von einer Wirkung der Ereignisse auf die breite Bevölkerung hierzulande ausgehen, die USA haben schließlich so etwas wie eine übergeordnete Rolle in der politischen Meinungsbildung.

Gibt es irgendeinen Lichtblick – halten Sie es zum Beispiel für möglich, dass sich neue Geldgeber und Allianzen zugunsten der globalen Gesundheit bilden werden?
So dramatisch die Situation ist und wirkt, wünsche ich mir als Mensch und Arzt, die Zuversicht nicht zu verlieren. Die Herausforderung ist besonders groß, aber Aufgeben ist keine Lösung. Es äußern sich im Moment viele Kolleginnen und Kolleginnen in der Öffentlichkeit kritisch, wir stehen dem Geschehen nicht wehrlos gegenüber.

Für die USA ist zu hoffen, dass der Regierungsapparat, die staatlichen Organe und die Gerichte der Verfassung treu bleiben und auch mit Einflüssen umgehen können, die nicht vom Volk als Souverän ausgehen. Für Europa und die verbliebene Staatengemeinschaft ist die Entwicklung auch eine Chance, zueinander zu finden, entsprechende Angebote zu machen und zu ihrer Verantwortung zu stehen. Vielleicht bietet die aktuelle Situation also auch die Möglichkeit zu positiven Veränderungen. 

ggr

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