Ausland

Ein Jahr Vogelgrippe bei US-Rindern: Fachleute für Pandemievorsorge und Maßnahmen

  • Freitag, 28. März 2025
/picture alliance, Jan Eifert
/picture alliance, Jan Eifert

Genf – Die hochpathogene Vogelgrippe treibt Fachleute um. Bei einem internationalen Austausch unter anderem über Forschungslücken zu H5N1 mahnte eine Expertin der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr Vorsorge hinsichtlich einer möglichen Influenzapandemie an.

Man müsse sicherstellen, dass die Pandemic Preparedness auf nationaler, regionaler und globaler Ebene vorangetrieben werde, sagte die Epidemiologin Maria van Kerkhove vergangene Woche bei einem virtuellen Termin zu H5N1.

Seit einem Jahr ist bekannt, dass H5N1 (Klade 2.3.4.4b) im Zuge der Ausbreitung bei Säugetieren überraschend auch den Sprung auf Rinder in den USA geschafft hat. Van Kerkhove machte bei dem WHO-Termin deutlich, dass Wachsamkeit geboten sei, auch wenn bisher keine konsistenten Veränderungen des Virus hin zu einer gesteigerten Übertragbarkeit unter Menschen beobachtet worden seien.

Sie appellierte an Mitgliedsstaaten, die strategische Überwachung bei Tieren zu verstärken – und auch bei Menschen, bei denen beispielsweise ein berufliches Expositionsrisiko besteht. Außerdem müssten klinische Proben, Viren und Sequenzdaten von allen neuen Influenzaviren für eine rechtzeitige Risikobewertung geteilt werden.

H5N1-Viren und insbesondere die der Klade 2.3.4.4b breiteten sich weiterhin geografisch aus und diversifizierten sich genetisch, berichtete van Kerkhove. Es sei eine beunruhigende Situation, die sich dynamisch weiterentwickle.

„Was wir fordern, sind rasche und gründliche Untersuchungen“, appellierte sie. Diese seien entscheidend, um unübliche Ereignisse und damit auch mögliche Veränderungen hin zu einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung früh zu erkennen.

Sie hob hervor, dass globale Zusammenarbeit und Koordination entscheidend seien. Bei der WHO seien mit Partnern bereits umfangreiche Vorbereitungen im Gange – selbst falls man diese aktuell nicht für eine Pandemie brauche, so sei es auch wichtig für die Zukunft.

Auf das Management des andauernden Ausbruchs in den USA und den Informationsaustausch mit der WHO kam van Kerkhove nicht zu sprechen. Sie hatte bei einem anderen Termin nach der Amtsübernahme Donald Trumps aber bereits von einem abgerissenen Kontakt zu den dortigen Fachleuten berichtet. Trump hatte den Austritt der USA aus der WHO angekündigt.

Den WHO-Daten zufolge sind seit 2003 mehr als 900 H5N1-Nachweise bei Menschen in mehr als 20 Ländern erfolgt, wobei es sich um verschiedene Arten von H5N1-Viren handelte. Seit 2024 seien 89 H5-Nachweise bei Menschen erfasst worden (nicht alle wurden subtypisiert), die meisten davon in den USA, sagte van Kerkhove. Häufig bestand demnach vorheriger Kontakt zu infizierten Tieren oder kontaminierter Umgebung.

Milde Verläufe seien genauso beobachtet worden wie schwere und tödliche. „Bisher haben wir bei H5N1 aber keine anhaltende Mensch-zu-Mensch-Übertragung gesehen“, sagte van Kerkhove. In der Vergangenheit sei es zwar bei engen Kontakten schon zu Übertragungen gekommen, nicht aber in jüngster Zeit. Die höchste bisher erfasste Fallzahl gab es demnach im Jahr 2015.

Forscherappell zu Gegenmaßnahmen

Angesichts der Ausbreitung der hochpathogenen Vogelgrippe empfiehlt unterdessen ein Forscherteam auch in einem aktuellen Online-Beitrag im Journal of Virology (DOI: 10.1128/jvi.02209-24) dringend Maßnahmen zum Reduzieren des Pandemierisikos.

Der H5N1-Ausbruch bei Rindern in den USA müsse etwa durch Impfung von Kühen oder besseren Infektionsschutz – oder beides – unter Kontrolle gebracht werden, schreibt das Team um Florian Krammer (Icahn School of Medicine at Mount Sinai, New York).

Vorgeschlagen werden unter anderem auch Impfungen für Geflügel sowie in der Pelztierzucht und Impfangebote für Arbeiter auf Höfen mit hohem Expositionsrisiko.

Erste Länder wie Finnland hätten inzwischen Vogelgrippeimpfstoffe für Personen mit höherem Expositionsrisiko zur Verfügung gestellt, was Regierungen weltweit nachmachen sollten, so die Autoren. Derartige Schritte seien umso wichtiger, da leider etwa gegen die Viruszirkulation in Wildvogelpopulationen nicht viel unternommen werden könne.

Fachleute sehen Mängel in Überwachung und Diagnostik

Nötig sei eine Echtzeitüberwachung unter anderem von Milchkühen mit aktuellen, empfindlichen und schnellen Diagnosemethoden, die sich leicht vor Ort einsetzen lassen, appellierte der Leiter der Abteilung Ökologie und Evolutionsbiologie der University of Arizona, Michael Worobey, bei dem WHO-Meeting. Man müsse sich darauf konzentrieren, mögliche weitere Übersprünge auf Kühe in den USA und außerhalb zu erkennen.

„H5N1 weitet sein Wirtsspektrum ziemlich dramatisch aus, und dabei nimmt es Mutationen auf, die das Virus in Säugetieren besser funktionieren lassen“, sagte Worobey. Mit dieser gewissen Vor-Anpassung an Säugetiere steige das Risiko für den Menschen. So begännen Pandemien.

Die Art und Weise, wie man vor einem Jahr auf den Ausbruch bei Rindern aufmerksam geworden sei, zeige Lücken bei der Früherkennung dieser Art von Ausbrüchen, betonte der Forscher. Eine Tierärztin in Texas sei damals auf kranke Kühe und Katzen aufmerksam geworden und habe zur Klärung der Ursache Proben an Kollegen geschickt.

Rund 100 Viren seien getestet worden, bevor man versucht habe, auch H5N1 auszuschließen – schließlich hätten Rinder damals als nicht empfänglich gegolten. Ausgerechnet dabei sei dann der Treffer erzielt worden.

Spätere Analysen hätten gezeigt, dass das Virus zu dem Zeitpunkt vermutlich bereits vier bis fünf Monate unter dem Radar bei diesen Tieren zirkulierte, so Worobey. Die anfängliche Hoffnung, dass der Eintrag in Rinder ein einmaliges Ereignis war, habe sich nicht bestätigt – inzwischen sei es erneut dazu gekommen. Und wieder habe es Untersuchungen zufolge mehrere Monate gedauert, bis es erkannt wurde.

Mit Blick auf die Diagnostik beim Menschen hielt die deutsche Virologin Isabelle Eckerle von den Universitätskliniken Genf fest, dass man nicht sehr gut aufgestellt sei. Für sie stelle sich die Frage, ob beispielsweise ein leichter Fall während einer Grippesaison überhaupt beim Arzt erkannt werden würde.

Sie bezeichnete es auch als schwierig, die vielen verschiedenen involvierten Tierarten zu überwachen. Womöglich gebe es eine Population von Tieren, die man nicht auf dem Schirm habe und in der sich eine neue Virusvariante entwickeln könnte.

Als mögliche Wege, um die Surveillance zu verbessern, brachten Fachleute etwa neben Abwasser- auch Luftproben ins Gespräch. Worobey plädierte für den Fall, in dem etwas Unübliches und schwer Erklärbares auftritt, für metagenomische Sequenzierung als kostspieligeren, aber schnelleren Weg.

Mehrere Impfstoffe in der Entwicklung

Zum Stand der Dinge bei Impfstoffen berichtete Wenqing Zhang von der WHO, dass es insgesamt mehr als 100 pandemische Influenzaimpfstoffe in verschiedenen Entwicklungsstufen gebe (Stand Oktober 2024). 39 davon zielten auf Vogelgrippe ab: Davon seien 22 schon in mindestens einem Land zugelassen, während sich die übrigen noch im präklinischen Stadium beziehungsweise in Phase I/II-Studien befänden.

Bei den zugelassenen Impfstoffen handele es sich größtenteils um Totimpfstoffe, bei denen zwei Dosen vorgesehen seien, so Zhang. Hersteller erwarten demnach allerdings, dass es im Fall der Fälle etwa bei Eiern zu Engpässen kommen kann, die zur Impfstoffproduktion benötigt werden. Die Zahl der Impfstoffe auf Basis der mRNA-Technologie, die sich im Stadium klinischer Studien befinden, liegt Zhangs Daten zufolge bei vier, fünf weitere seien im präklinischen Stadium.

Die jährlichen globalen Produktionskapazitäten für saisonale Grippeimpfstoffe gibt die WHO mit 1,53 Milliarden Dosen an, für einen pandemischen Influenzaimpfstoff könnten je nach Szenario 4,13 bis bestenfalls 8,2 Milliarden Dosen möglich sein (ohne mögliche mRNA-Impfstoffproduktion). Die weltweite Verteilung von Produktionsstätten sei uneinheitlich, berichtete Zhang. In der WHO-Region Afrika sei beispielsweise gar keine gelistet.

Die WHO sei dabei, ein Papier mit wissenschaftlichen Empfehlungen zum möglichen Einsatz von Vogelgrippeimpfstoffen in der interpandemischen Phase zu aktualisieren, sagte Zhang weiter. Die Länder könnten dann über die möglichen Optionen entscheiden. Die WHO frage zudem Lagerbestände zu Impfstoffen und antiviralen Medikamenten ab.

In Europa seien drei zoonotische Grippeimpfstoffe zugelassen, von denen einer die aktuell in Wildvögeln und Kühen zirkulierende Klade berücksichtige, sagte Marco Cavaleri von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA). Hinzu kämen vier zur Pandemievorbereitung entwickelte Impfstoffe, bei denen im Ernstfall nur noch eine Komponente ausgetauscht werden müsste, bevor sie aktiviert werden könnten.

Die genannten Impfstoffe basierten auf traditionellen Impfstoffplattformen, was bedeute, dass man im Fall einer Pandemie mit einem Zeitraum von sechs Monaten oder mehr Zeit rechnen müsse, bevor große Mengen zugelassen und für Impfkampagnen verteilt werden könnten, so Cavaleri. Es gelte zu überlegen, wie man dies beschleunigen könnte. Als mögliches Nadelöhr nannte er auch die Verfügbarkeit von Reagenzien.

Der Einsatz von mRNA-Technologie habe Potenzial, dass Impfstoffe schneller einsatzbereit seien, sagte Cavaleri. Aber nötig seien dabei auch Erkenntnisse, wie diese im Vergleich zu den bisherigen Impfstoffen abschneiden.

Er plädierte zudem für ausreichend Sicherheitsdaten, auch wegen möglicher Vorbehalte in der Bevölkerung gegenüber dieser Impfstofftechnologie. Antivirale Medikamente könnten vor allem in der sehr frühen Behandlungsphase und möglicherweise prophylaktisch eingesetzt werden, bevor Impfstoffe in großer Zahl zur Verfügung stehen.

Bei dem Termin hielten die Fachleute etliche offene Fragen fest, beispielsweise zu Mutationen von H5N1 und zur möglichen Rolle von Tierimpfstoffen. Der Austausch soll fortgesetzt werden.

ggr

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