Ausland

EU-Parlament beschließt strengere Überwachung von Medizinprodukten und Diagnostika

  • Mittwoch, 5. April 2017
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Straßburg – Die strengere Überwachung von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnos­tika hat das Europäische Parlament heute in Straßburg beschlossen. Mehr als vier Jahre hat­ten das Parlament, die Europäische Kommission und die Regierungen der 28 Mit­glied­staaten um einen Kompromiss gerungen.

Das Ergebnis erhöhe die Sicherheit für die Patientinnen und Patienten, ohne die Wett­be­werbsfähigkeit der Medizinprodukte- und Diagnostika-Industrie zu gefährden, sagten die Berichterstatter für die beiden Verord­nun­gen, der deutsche CDU-Abgeordnete Peter Lie­se (Fraktion der Europäischen Volks­partei, EVP) und die britische Labour-Abgeord­nete Glenis Willmott (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten, S&D), bei der Aussprache vor dem Parlament, die bereits gestern stattfand. „Wir haben ein Gleich­ge­wicht aus Kontrolle und Innovation geschaffen“, betonte Liese.

Zwar wird es auch künftig keine behördliche Zulassung von Medizinprodukten geben. Die Kontrollen der Produkte und der sie zertifizierenden Stellen – in Deutschland meist TÜV oder DEKRA – werden nach der EU-Verordnung jedoch ausgeweitet. So müssen die Be­nannten Stellen künftig europaweit einheitliche Anforderungen erfüllen und bei­spielswei­se medizinisches Fachpersonal beschäftigen.

Expertenkomitee eingeführt

Für die Zulassung von Hochrisikoprodukten wie Implantaten, Stents oder Herzschritt­ma­chern wird eine zusätzliche Bewertung durch ein Expertenkomitee eingeführt, das bei der EU-Kommission angesiedelt ist. Dasselbe gilt auch für hochsensible Diagnostika wie HIV-Tests. Produkte hoher Risikoklassen müssen zudem in klinischen Tests ihre Wirk­sam­keit belegen. Die EU-Verordnung sieht außerdem unangekündigte Kontrollen bei den Medizinproduk­te­herstellern vor.

Ein Netz europäischer Referenzlaboratorien soll für mehr Sicherheit bei sensiblen Dia­gnos­tika sorgen. Um minderwertige oder schadhafte Medizinprodukte zurückverfolgen zu können, erhalten sie eine einmalige Kennnummer, und Patienten bekommen einen Im­plantatpass. In der zentralen Datenbank Eudamed sind künftig sämtliche Informatio­nen über Produkte, Hersteller, benannte Stellen, Prüfbescheinigungen und klinische Prüfun­gen von Hochrisikoprodukten abrufbar.

Nicht einigen konnte man sich über die Frage der Wiederaufbereitung von Medizinpro­dukten. Darüber können die Mitgliedstaaten künftig selbst entscheiden. Lassen sie diese zu, müssen sie jedoch strenge Sicherheitsstandards einhalten. Bei hochsensiblen DNA-Tests, die schwerwiegende oder tödliche Erkrankungen vorhersagen können, wer­den die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Patienten vor der Anwendung über die mögli­chen Folgen zu beraten. Ob hierfür beispielsweise eine ärztliche Beratung erforderlich ist, sollen die Mitgliedstaaten selbst entscheiden.

„Es ist allerhöchste Zeit für ein besseres Medizinprodukterecht“, erklärte Berichterstatter Peter Liese gestern vor dem Europaparlament. Die Verpflichtung der Benannten Stellen, künftig unangemeldete Kontrollen durchzuführen, werde dafür sorgen, dass in den Fir­men ein anderer Geist Einzug halte. Skandale um minderwertige Brust- und Hüftimplan­tate sowie ungenaue HIV-Tests, die in den vergangenen Jahren Patienten und Öffent­lich­­­keit verunsichert hätten, belegten den Handlungsbedarf. Da die Produkte im euro­­pä­i­­schen Binnenmarkt frei gehandelt würden, griffen rein nationale Regelungen zu kurz.

Die EU-Verordnung schaffe Rechtssicherheit für die Unternehmen und mehr Sicherheit für die Patienten, erklärte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis. Die Regelung treffe eine wichtige Branche. Mit einem Umsatz von rund 100 Milliarden Euro jährlich sei Europa Weltmarktführer bei Medizinprodukten. Die Verabschiedung der Verordnung im Parlament sei ein erster Schritt, betonte Andriukaitis. „Jetzt müssen wir für die Umset­zung sorgen. Das hat höchste Priorität“, kündigte der Litauer an. Für die EU-Verordnung zu Medizinprodukten gilt eine Übergangsfrist von drei Jahren, für die zu In-vitro-Dia­gnos­tika von fünf Jahren.

Kritik von Kassen und Verbänden

Der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) zeigte sich besorgt, dass die Reform vor allem kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) treffen könnte. Diese hätten laut BVMed die Sorge geäußert, dass sie wegen ihrer geringeren Nachfragemacht eine nachrangige Behandlung durch die Benannten Stellen erfahren könnten. „Wegen gerin­gerer Personalkapazitäten und Finanzierungsmöglichkeiten dürfte der kleine Mittelstand auch durch die umfassenden neuen klinischen Anforderungen sowie die umfassenden Dokumentations- und Berichtspflichten besonders hart getroffen werden“, schreibt der Verband. Er forderte deshalb für ein nationales Förderprogramm für diese KMU.

Der AOK-Bundesverband sieht vor allem kritisch, dass Hochrisiko-Medizinprodukte wei­terhin nicht durch spezielle Benannte Stellen zertifiziert und geprüft werden müssen. „Die privatrechtlich organisierten benannten Stellen bleiben für Prüfungen zuständig. Doch sie haben ein eigenes wirtschaftliches Interesse daran, auch zukünftig von Herstellern beauftragt zu werden und sind somit finanziell von ihnen abhängig“, kritisiert der Chef des AOK-Bundesverbands Martin Litsch.

„Um ein hohes Sicherheitsniveau zu gewähr­leis­ten und den Patientenschutz zu ver­bes­sern, wäre eine finanziell unabhängige, zen­trale Zulassungsstelle für Hochrisiko-Medi­zin­­produkte und Implantate, wie es sie für Arz­neimittel gibt, erforderlich.“ Die AOK kritisiert auch die Anforderungen an die Studien­qua­lität, die der Bewertung von Hochrisi­ko-Medi­zinprodukten zugrunde liegen und sieht Ver­besserungsbedarf  bei der eindeuti­gen Identifizierung von Hochrisiko-Medizinproduk­ten.

HK

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