Ausland

Hilfsorganisationen werfen EU-Staaten Mitschuld am Tod von Bootsflüchtlingen vor

  • Donnerstag, 12. Juli 2018
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Berlin – Die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerranée haben den Regierungen der EU eine fatale Behinderung der Seenotrettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer vorgeworfen. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sie heute von „mehr als 600 Todesfällen im Mittelmeer in den vergangenen vier Wochen“, an denen die EU-Staaten eine Mitschuld trügen.

Die Entwicklung zeige, dass die politischen Entscheidungen der EU-Staaten der vergangenen Wochen „tödliche Folgen“ hätten, erklärte Karline Kleijer, Notfall­koordinatorin bei Ärzte ohne Grenzen, heute in Berlin. „Es war eine kaltblütige Entscheidung, Menschen, Frauen und Kinder im Mittelmeer ertrinken zu lassen.“

Die Vizepräsidentin von SOS Méditerranée, Sophie Beau, kritisierte: „Die politische Entscheidung, die Häfen für die Ausschiffung Geretteter zu schließen, und das totale Chaos im zentralen Mittelmeer haben zu noch mehr Toten geführt.“ Sie fügte hinzu: „Europa trägt die Verantwortung für diese Ertrunkenen.“

Die beiden Organisationen forderten die Regierungen Europas auf, sich selbst bei der Rettung von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zu engagieren. Diese Verpflichtung ergebe sich aus dem internationalen Seerecht und dem humanitären Völkerrecht.

Das Argument, wonach Flüchtlingshelfer auf dem Mittelmeer einen zusätzlichen Anreiz für Menschen aus Afrika zur gefährlichen Überfahrt nach Europa darstellten, sehen die Organisationen durch die Entwicklung der letzten Wochen widerlegt: Die Menschen hätten sich auf den gefährlichen Weg gemacht, obwohl „kein einziges NGO-Rettungs­schiff im zentralen Mittelmeer aktiv war“.

Italien hat unter der neuen Populisten-Regierung seine Häfen für die Schiffe von Flüchtlingshelfern geschlossen. Der italienische Innenminister Matteo Salvini beriet heute mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dem österreichischen Ressortchef Herbert Kickl (FPÖ) über eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen.

Bayern lobt Helfer

Der bayerische Landtag hat unterdessen das ehrenamtliche Engagement von Seenotrettern im Mittelmeer gelobt. „Die Rettung von Menschen aus Not ist ein Gebot von Mitmenschlichkeit, sie ist auch bei Schiffbrüchigen im Mittelmeer geboten“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in München. Zugleich warnte er wie die CSU-Fraktion in einem entsprechenden Antrag davor, „dass sich die in der Seenotrettung Engagierten nicht zum Werkzeug skrupelloser Schlepperbanden machen lassen“ dürften. „Es ist leider auch ein brutales Geschäft von Schleuserbanden.“

Um die Zahl der Flüchtlinge, die sich in nicht für das Mittelmeer geeigneten Booten auf den Weg nach Europa machen, zu senken, müssten Asylzentren in Nordafrika errichtet und zugleich auch die EU-Außengrenzen besser geschützt werden. „Wir brauchen wesentlich mehr Geld für die Entwicklungshilfe“, betonte Herrmann zudem. Er appellierte an die große Koalition in Berlin, „wesentlich mehr Geld“ für die Entwicklungs­hilfe im Bundeshaushalt zu ermöglichen. Die aktuelle Finanzlage Deutschlands ermögliche Spielräume.

SPD und Grüne kritisierten, dass Seenotretter in der politischen Debatte oft krimi­nalisiert würden und bezogen dies auch ausdrücklich auf CSU-Chef und Bundes­innenminister Horst Seehofer. Statt der Besatzung des Rettungsschiffes „Lifeline“ für ihren Einsatz zu danken, habe Seehofer lediglich angekündigt, den Kapitän zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. „Wer einen anderen Menschen rettet, ist immer ein Held“, betonte sie. Auch SPD und Freie Wähler sprachen sich dafür aus, die Seenotrettung im Mittelmeer zu verstärken, scheiterten mit ihren Anträgen aber an der absoluten Stimmmehrheit der CSU.

afp

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