Ausland

Internationaler Gerichtshof: Staaten sind rechtlich zum Klimaschutz verpflichtet

  • Donnerstag, 24. Juli 2025
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Peter Dejong
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Den Haag – Wenn Staaten Klimaschutzpflichten aus internationalen Abkommen verletzen, könnten sie einem Gutachten des höchsten UN-Gerichts zufolge unter Umständen rechtlich dafür belangt werden.

„Das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems zu ergreifen, kann eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen“, erklärte der Präsident des Internationalen Gerichtshofs (IGH), der Japaner Yuji Iwasawa, gestern bei der Verlesung des von der UN-Vollversammlung in Auftrag gegeben Gutachtens in Den Haag.

Wenn Länder keine oder nur unzureichende Maßnahmen zum Schutz des Planeten vor dem Klimawandel ergreifen, verletzen sie damit nach Ansicht der 15 IGH-Richter das Internationale Recht. Das mehr als 130 Seiten umfassende Gutachten ist zwar nicht rechtsverbindlich, kann aber nach Einschätzung von Völkerrechtsexperten Einfluss auf Klimaprozesse weltweit haben.

In dem Verfahren hatten kleine Inselstaaten und andere Entwicklungsländer das höchste UN-Gericht aufgefordert, Klimaschutz als völkerrechtliche Pflicht festzuschreiben. Für diese Staaten gehe es um das Überleben, machten Vertreter der Organisation für afrikanische, karibische und pazifische Staaten in dem bisher umfangreichsten Verfahren vor dem IGH geltend.

Zu Forderungen nach Wiedergutmachungsleistungen von Staaten, die große Mengen an Treibhausgasen ausstoßen, ohne genug zur Bekämpfung des Klimawandels tun, erklärte der IGH, dass darüber nur von Fall zu Fall entschieden werden könne.

Solche Wiedergutmachungen könnten etwa darin bestehen, dass entstandene Schäden an der Infrastruktur eines betroffenen Landes behoben werden, sofern dies noch möglich ist. Das Gericht machte aber auch klar, dass entsprechende Verfahren sehr kompliziert sein könnten.

Die UN-Vollversammlung hatte das Gericht 2023 beauftragt, in einem Gutachten eventuelle juristische Konsequenzen für Staaten zu erstellen, „die durch ihre Handlungen und Unterlassungen erhebliche Schäden am Klimasystem und anderen Teilen der Umwelt verursacht haben“.

Vor allem sollte dies in Bezug auf Inselentwicklungsstaaten untersucht werden, die vom Ansteigen des Meeresspiegels infolge der Erderwärmung in ihrer Existenz gefährdet sind. Die Initiative zu dem Klimaverfahren vor dem IGH hatte Vanuatu ergriffen. Der Inselstaat im Südpazifik ist vom Untergang bedroht, weil der Meeresspiegel infolge der Erderwärmung steigt. Besonders stark ist das im Südpazifik zu beobachten.

Eines der ersten kleinen Länder, die dadurch unbewohnbar werden könnten, ist Tuvalu. Australien hat deshalb bereits angeboten, die Bevölkerung des Südseearchipels aufzunehmen. Fast die Hälfte der knapp 11.000 Bewohner des zwischen 3.500 und 4.000 Kilometern nordöstlich von Australien liegenden Kleinstaates hat sich Medienberichten zufolge bereits um die in Aussicht gestellten Visa beworben.

Nach Angaben des Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel ist der Meeresspiegel infolge der Klimaerwärmung seit Beginn der Industrialisierung bereits um 20 Zentimeter angestiegen. Vanuatus Regierung bezeichnete das Gutachten als „richtungsweisenden Meilenstein“. Umweltminister Ralph Regenvanu sprach vor dem Gerichtsgebäude in Den Haag von einer „sehr wichtigen Kurskorrektur“.

„Der IGH setzt klare Maßstäbe für die Klimaschutzpflichten von Ländern. Staaten haben eine völkerrechtliche Verpflichtung, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die Ziele das Pariser Abkommen zu erreichen“, sagte Carl-Friedrich Schleussner vom Integrativen Forschungsinstitut zum Wandel von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) der Humboldt-Universität zu Berlin. Diese Pflichten seien „sehr weitreichend und würden auch für die Regulierung des Privatsektors“ gelten.

Er betonte, der IGH stelle klar, dass insbesondere die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Energien sowie die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen könnten. „Das sollte sich auch die deutsche Bundesregierung zu Herzen nehmen“, sagte Schleussner dem Science Media Center.

Gleichzeitig könnten Staaten für die Unterlassung von Klimaschutzmaßnahmen zur Rechenschaft gezogen werden. Das eröffne die Möglichkeit, dass Staaten für Schäden haftbar gemacht werden könnten, die durch das Versagen bei der Erfüllung ihrer Klimapflichten entstanden seien. Die Erkenntnis, dass Staaten für ihre Untätigkeit zur Rechenschaft gezogen werden können, wird aus seiner Sicht „die Diskussion um eine gerechtere Verteilung der Lasten im Klimaschutz weiter vorantreiben“.

Auch Umweltschutzorganisationen sprachen von einer „historischen“ Entscheidung. Greenpeace erklärte, der IGH habe damit „eine neue Zeitrechnung im Klimaschutz ausgerufen“. Der WWF sprach von einem „Gamechanger für den internationalen Klimaschutz“. Oxfam erklärte, mit dem Gutachten gebe es nun „ein wirksames Instrument, um Länder für ihre Verpflichtungen zur Rechenschaft zu ziehen“.

Zwar sind die fortschreitende Klimakrise und ihre katastrophalen Auswirkungen bekannt, dennoch können Staaten sich oft nicht zu einem entschiedenen Gegensteuern durchringen. Aus Frustration darüber wenden sich immer häufiger einzelne Betroffene, Organisationen oder auch ganze Staaten an Gerichte. Experten zufolge kann die Umsetzung von Entscheidungen zwar nicht juristisch erzwungen werden.

Klimaurteile haben aber dennoch großes Gewicht. Auch das IGH-Gutachten könnte Experten zufolge weitreichende Auswirkungen auf Gerichtsverfahren weltweit und die öffentliche Debatte haben – auch mit Blick auf die UN-Klimakonferenz in Brasilien im November.

Große Wirtschaftsstaaten wie China und die USA, die für den überwiegenden Teil der CO2-Emissionen verantwortlich sind, lehnen rechtliche Verpflichtungen ab, die über bestehende Abkommen hinausgehen. Sie verweisen etwa auf die Bestimmungen der UN-Klimaschutzkonventionen und des Pariser Klimaabkommens. Auch Deutschland erklärte, dass die dort festgeschriebenen Verpflichtungen ausreichten.

dpa/afp/may

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