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Paracetamol bei Schwangeren: US-Regierung sieht Autismusrisiko, Widerspruch aus Europa

  • Dienstag, 23. September 2025
/SkyLine, stock.adobe.com
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Washington – Angesichts der Prävalenz von Autismus in den USA hat die dortige Regierung eine regelmäßige Paracetamol-Einnahme in der Schwangerschaft als möglichen Risikofaktor ins Spiel gebracht. Europäische und deutsche Arzneimittelbehörden sehen jedoch keinen Handlungsbedarf, wie sie heute mitteilten.

Von mehreren Seiten kam Kritik an der Warnung von US-Präsident Donald Trump an Schwangere, wonach die Einnahme des Arzneimittels „mit einem stark erhöhten Autismusrisiko verbunden“ sein könne. Unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wies die Äußerungen zurück.

Hinweise der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) an die Ärzteschaft sind allerdings deutlich differenzierter als die Präsidenten-Warnung: So schreibt sie, Ärztinnen und Ärzte sollten im Sinne der Patientensicherheit und einer umsichtigen Medizin erwägen, bei Schwangeren die Verwendung von Paracetamol bei leichtem Fieber zu minimieren.

Berücksichtigt werden müsse auch, dass Paracetamol unter allen Analgetika und Antipyretika die sicherste rezeptfreie Alternative in der Schwangerschaft sei, betonte die Behörde. Aspirin und Ibuprofen hätten gut dokumentierte nachteilige Auswirkungen auf den Fötus.

FDA betont: Kein kausaler Zusammenhang nachgewiesen

Die FDA schreibt von einer gewachsenen Evidenz beim Zusammenhang von Paracetamol und Autismus. Einige Studien hätten beschrieben, dass das Risiko am größten sein könnte, wenn das Medikament während der gesamten Schwangerschaft bis zur Geburt regelmäßig eingenommen werde.

Die Zulassungsbehörde schreibt aber ausdrücklich, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen der Paracetamol-Einnahme und Autismus nachgewiesen sei und dass es Widersprüche innerhalb der Literatur gebe. Die wissenschaftliche Debatte sei noch im Gange, Ärztinnen und Ärzte sollten sich dieser Problematik bei ihren klinischen Entscheidungen bewusst sein.

Die Behörde verweist auch darauf, dass die meisten kurzfristigen Fiebererkrankungen bei Schwangeren keine medikamentöse Behandlung erforderten.

Das US-Gesundheitsministerium teilte mit, es wolle Ärztinnen und Ärzte ermutigen, bei der Verwendung von Paracetamol gegen Fieber und Schmerzen in der Schwangerschaft ihr bestes Urteilsvermögen walten zu lassen, indem sie bei einer erforderlichen Behandlung die niedrigste wirksame Dosis für die kürzeste Dauer verschreiben.

Das Ministerium will Familien mit einer nationalen Kampagne informieren. Demnach will die FDA auch darauf hinwirken, dass die Sicherheitshinweise für Paracetamol aktualisiert werden, Details dazu waren zunächst nicht bekannt. Der FDA ist auch bewusst, dass unbehandeltes Fieber in der Schwangerschaft Risiken für die werdende Mutter ebenso wie für den Fötus haben kann.

EMA und BfArM bleiben bei ihren Empfehlungen

In der Europäischen Union (EU) bleibt der Einsatz von Paracetamol in der Schwangerschaft unverändert, wie die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) heute mitteilte. Es gebe derzeit keine neue Evidenz, die Änderungen der derzeitigen Empfehlungen nötig machten, hieß es.

„Unsere Empfehlung basiert auf einer strengen Bewertung der verfügbaren wissenschaftlichen Daten, und wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft Autismus bei Kindern verursacht“, sagte der Chief Medical Officer der EMA, Steffen Thirstrup einer Mitteilung zufolge.

Wie die FDA betonte auch die EMA, dass Paracetamol wie jedes Arzneimittel zur Akutbehandlung „in der niedrigsten wirksamen Dosis, über den kürzestmöglichen Zeitraum und so selten wie möglich“ angewendet werden sollte.

Ähnlich äußerte sich das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Anfrage. „Es gibt keine neuen Erkenntnisse, die eine Änderung der aktuellen EU-Empfehlungen zur Anwendung erforderlich machen würden.“ Die verfügbaren Erkenntnisse ließen keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft und Autismus erkennen.

Das BfArM verwies unter anderem auf eine Analyse der EMA: Diese habe im Jahr 2019 verfügbare Studien überprüft, die die neurologische Entwicklung von Kindern untersuchten, die im Mutterleib Paracetamol ausgesetzt waren, und festgestellt, dass kein Zusammenhang mit neurologischen Entwicklungsstörungen hergestellt werden konnte.

Embryotox bewertet Studien zu Autismus und Paracetamol kritisch

Wer sich hierzulande über mögliche teratogene oder fetotoxische Risiken in der Schwangerschaft und Stillzeit informieren möchte, sucht die durch öffentliche, Industrie-unabhängige Gelder finanzierte Plattform Embryotox auf.

Das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum (PVZ) für Embryonaltoxikologie (Embryotox) gehört zur Charité in Berlin und zählt zu den größten europäischen Referenzzentren für Arzneimitteltherapiesicherheit in der Schwangerschaft.

Parace­tamol zählt laut Embryotox bei medikamentös behandlungspflichtigen Schmerzen in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika der Wahl. Der Erfahrungsumfang hierzu wird als „sehr hoch“ angegeben, was bedeutet, dass die Empfehlung auf mehr als 2000 systematisch ausgewertete Schwangerschaften beruht.

Die in Publikationen diskutierten Zusammenhänge von Paracetamol in der Schwangerschaft und Autismus-Spektrum-Störungen sowie Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bewertet das Institut der Charité aus mehreren Gründen kritisch.

Die Ursachen der beobachteten Entwicklungsauffälligkeiten bei Kindern würden in den Studien nur unvollständig erfasst, diagnostische Kriterien uneinheitlich angewandt und die statistische Signifikanz sei in vielen Untersuchungen grenzwertig. Zudem sei ein plausibler Schädigungsmechanismus von Paracetamol nicht bekannt.

Gegen einen kausalen Zusammenhang und für familiäre Faktoren spricht laut Embryotox zudem, dass einige Studien auch nach Paracetamol-Einnahme des Vaters ähnlich erhöhte Risiken für Verhaltensauffälligkeiten beim Kind wie nach Paracetamol-Einnahme der Mutter während der Schwangerschaft zeigen würden. 

Auch der Berufsverband der Frauenärzte (BFV) verwies auf Anfrage unter anderem auf die Einschätzung bei Embryotox. Zudem hieß es, dass schwangere Patientinnen Medikamente grundsätzlich nur in Rücksprache mit der Frauenärztin oder dem Frauenarzt einnehmen sollten. „Vermeintlich sichere, freiverkäufliche Medikamente der Hausapotheke wie Schmerzmittel können in der Schwangerschaft nicht wie bisher gewohnt dosiert und eingenommen werden.“

Trump warnt Schwangere vor Paracetamol-Einnahme

US-Präsident Trump persönlich trat gestern mit Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. vor die Kameras, um über das Thema zu informieren. Beide haben den Kampf gegen Autismus als eines der großen gesundheitspolitischen Ziele ausgegeben. Sie brachten auch eine Therapieoption mit Folinsäure ins Gespräch, was von Fachleuten allerdings kritisch gesehen wird. Schon seit Wochen war angekündigt, dass im September eine Autismus-Ursache präsentiert werden würde.

Trump sagte, Frauen werde „dringend empfohlen, die Einnahme von Tylenol während der Schwangerschaft zu beschränken", außer es sei medizinisch notwendig. „Das gilt beispielsweise für Fälle von extrem hohem Fieber“, betonte der Präsident und wiederholte: „Nehmen Sie kein Tylenol.“ Es sei nicht gut. In den USA ist Paracetamol als Acetaminophen bekannt und wird in Apotheken unter dem Namen Tylenol verkauft.

Es gebe keinen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Schmerzmittels und Autismus, sagte WHO-Sprecher Tarik Jasarevic heute hingegen in Genf. Auch Impfungen verursachten keinen Autismus. Trump hatte auch gesagt, dass Menschen, die sich nicht impfen ließen oder keine Medikamente einnähmen, keinen Autismus hätten. Dies wies der WHO-Sprecher kategorisch zurück: „Impfstoffe retten Leben, das wissen wir. Impfstoffe verursachen keinen Autismus.“

Das American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) kritisierte Trumps Warnung als unverantwortlich. Dadurch könnten Schwangere verunsichert werden, die möglicherweise auf das Medikament angewiesen seien.

„Die heutige Ankündigung des Gesundheitsministeriums wird nicht durch umfassende wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt und vereinfacht die vielfältigen und komplexen Ursachen neurologischer Probleme bei Kindern auf gefährliche Weise“, teilte der Präsident der Fachgesellschaft, Steven J. Fleischman, mit.

Die Erkrankungen, die während der Schwangerschaft mit Paracetamol behandelt würden, seien weitaus gefährlicher als alle theoretischen Risiken und könnten zu schwerer Morbidität und Mortalität für die Schwangere und den Fötus führen, so Fleischman weiter.

Ähnlich stuften auch australische Fachleute die US-Warnung ein, die vom Science Media Center (SMC) befragt wurden. Mehrere von ihnen wiesen darauf hin, dass Fieber während der Schwangerschaft an sich ein Risikofaktor für Autismus sei (Mol Autismus. 2021, DOI: 10.1186/s13229-021-00464-4).

Der Pharmakologe Ian Musgrave von der University of Adelaide machte deutlich, dass die steigende Inzidenz bei Autismus mit gestiegenem Bewusstsein bei Eltern und in der Ärzteschaft und der Diagnosestellung zu erklären sei.

„Als in einer britischen Studie moderne Diagnosekriterien bei Erwachsenen angewendet wurden, war die Autismusrate bei Erwachsenen genauso hoch wie bei Kindern. Es ist verlockend, einfache Antworten auf komplexe Probleme wie Autismus zu suchen, aber Paracetamol dafür verantwortlich zu machen, hilft nicht weiter und verursacht nur unnötige Ängste bei den Eltern.“

Untersuchungen zeigten, dass sowohl Autismus-Spektrum-Störungen als auch ADHS überwiegend durch genetische Faktoren verursacht würden, die etwa 70 bis 80 Prozent des Gesamtrisikos ausmachten, während Umwelteinflüsse zusammen nur etwa 20 bis 30 Prozent beitrügen, erläuterte Alex Polyakov von der University of Melbourne.

Unterschiedliche Studien sind möglichen Zusammenhängen von Paracetamol in der Schwangerschaft und Entwicklungsstörungen bei Kindern nachgegangen. Über die Aussagekraft wird aber debattiert.

„Die grenzwertig signifikanten Resultate in etlichen Studien zu Entwicklungsstörungen nach mütterlicher Einnahme von Paracetamol erwecken den Eindruck eines Publikationsbias“, hatte Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie an der Universitätsfrauenklinik Ulm schon 2022 zu einer Studie über pränatale Paracetamol-Exposition und neurologische Verhaltensprobleme erklärt (SMC).

Der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hatte dazu geraten, bis zum Vorliegen weiterer Daten, Paracetamol in der Schwangerschaft so kurz und moderat dosiert wie möglich einzusetzen. Zudem solle stattdessen nicht zwangsläufig auf potentere Analgetika mit noch problematischerem Wirkungsprofil ausgewichen werden.

gie/ggr/afp

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