Prominenter Hirnforscher unter Fälschungsverdacht

Berlin – Die Manipulationsvorwürfe gegen einen der weltweit meistzitierten Hirnforscher, Eliezer Masliah, erschüttern die Fachwelt. Eine Untersuchung des renommierten Fachmagazins Science kommt zu dem Schluss, dass zahlreiche seiner Laborstudien „mit offensichtlich gefälschten Western-Blots – Bildern, die das Vorhandensein von Proteinen zeigen sollen – und offensichtlich gefälschten Mikrofotografien von Hirngewebe durchsetzt sind“.
Zahlreiche Bilder seien offenbar in unangemessener Weise in Arbeiten wiederverwendet worden, „die manchmal mit jahrelangem Abstand in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden und unterschiedliche Versuchsbedingungen beschreiben“, heißt es in einem Science-Artikel von Ende September. Einige der betroffenen Studien sind Grundlage von Medikamenten, die bereits an Menschen getestet werden.
Masliah wurde im Sommer 2016 Direktor der Division of Neuroscience (DN) am National Institute on Aging (NIA), das zu den National Institutes of Health (NIH) gehört, der wichtigsten US-Bundesbehörde für die Durchführung und Unterstützung von medizinischer Forschung.
Die DN ist eine mächtige Institution in den Neurowissenschaften, im vergangenen Jahr lag ihr Budget bei 2,6 Milliarden US-Dollar. Laut Science hat Masliah in seiner Laufbahn rund 800 Studien veröffentlicht. Viele davon beschäftigen sich demnach damit, wie Parkinson und Alzheimer die Synapsen von Neuronen schädigen. Er sei einer der „meistzitierten Forscher auf seinem Gebiet“.
In den vergangenen zwei Jahren seien Fragen zu Masliahs Forschung aufgetaucht, heißt es in Science. Nun zeige ein 300-Seiten-Dossier eines Expertenteams, „einen ständigen Strom verdächtiger Bilder zwischen 1997 und 2023 in 132 von ihm veröffentlichten Forschungsarbeiten“.
Das Fazit des Expertenteams: „Unserer Meinung nach gibt dieses Muster anomaler Daten Anlass zur Sorge um Fehlverhalten in der Forschung und stellt einen bemerkenswert großen Teil der wissenschaftlichen Arbeit in Frage.“
Sowohl Masliah als auch NIA-Direktor Richard Hodes wollten Science zufolge zunächst nicht auf detaillierte Fragen antworten. Die NIH teilten Ende September relativ knapp mit, dass Masliah Fälle von Fehlverhalten in der Forschung vorgeworfen würden.
Dabei gehe es um zwei Publikationen, bei denen „Fälschungen und/oder Erfindungen, die das Wiederverwenden und die Neubezeichnung von Abbildungen einschließen“, aufgefallen seien. „Derzeit ist Dr. Masliah nicht als Direktor des NIA DN tätig“, teilten die NIH mit. Und weiter: „Über diese Informationen hinaus werden sich die NIH nicht zu Personalangelegenheiten äußern.“
Science hat das Experten-Dossier von 11 Neurowissenschaftlern prüfen lassen, das Ausmaß der offensichtlichen Probleme habe diese verblüfft. Das Fachmagazin zitiert den Neurowissenschaftler Christian Haass von der Ludwig-Maximilians-Universität München so. „Die Leute werden natürlich schockiert sein, so wie ich es war. [...] Ich bin im Grunde genommen vom Stuhl gefallen.“
Er und die anderen Forscher haben laut Science nicht jedes Beispiel für mögliches Fehlverhalten persönlich überprüft. Aber sie seien sich einig gewesen, dass die meisten der verdächtigen Arbeiten nicht als Flüchtigkeitsfehler oder Publikationsanomalien zu erklären seien.
Unter den auffälligen Arbeiten sind laut Science auch welche, die einen Teil des wissenschaftlichen Unterbaus von klinische Medikamentenstudien mit Hunderten Probanden darstellen. Ein Beispiel ist demnach der Antikörper Prasinezumab. Er soll angeblich gegen Parkinson helfen, in dem er im Gehirn an das Protein Alpha-Synuclein bindet, das für die Zerstörung der dopaminergen Neurone verantwortlich gemacht wird.
Im Jahr 2022 zeigte dann eine Phase-2-Studie im New England Journal of Medicine (NEJM 2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2202867), dass Prasinezumab unwirksam ist. Im Juni diesen Jahres kam dann eine Post-hoc-Analyse in Nature Medicine (2024; DOI: 10.1038/s41591-024-02886-y) zu dem Schluss, dass Prasinezumab in einigen Untergruppen mit besonders rascher Krankheitsprogression eine Wirkung erzielt haben könnte.
Ulrich Dirnagl, Professor für Klinische Neurowissenschaften an der Berliner Charité und Direktor des QUEST Centers for Responsible Research am Berlin Institute of Health (BIH), erinnert der Fall an weitere Skandale führender US-amerikanischer Neurowissenschaftler.
„In jeweils 20 bis 70 Publikationen dieser Wissenschaftler wurden hochgradig fragwürdige oder eindeutig manipulierte Abbildungen entdeckt“, schreibt Dirnagl in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel. Die Affären folgten dabei einem wiederkehrenden Muster.
In Publikationen prominenter Wissenschaftler werden oft Jahre nach ihrer Veröffentlichung in namhaften Fachzeitschriften manipulierte Abbildungen entdeckt. Zunächst passiere dann entweder gar nichts, so Dirnagl. „Oder es dauert viele Jahre, bis sich die betroffenen Universitäten oder Fachjournale widerwillig des ,Falles' annehmen – und das oft nur, wenn sich die Affäre bereits zu einem ausgewachsenen Skandal entwickelt hat“.
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