WHO: Suche nach Coronaursprung muss entpolitisiert werden
Genf/Kopenhagen – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die internationale Gemeinschaft aufgefordert, die Suche nach dem Ursprung des Coronavirus SARS-CoV-2 nicht zu politischen Zwecken zu missbrauchen. Es komme auf rasche internationale Kooperation an, um künftig bei Krankheitserregern mit pandemischem Potenzial besser reagieren zu können, teilte die WHO gestern Abend mit.
Die Suche nach den Ursprüngen des Erregers sollte keine Übung in Schuldzuweisungen oder Fingerzeigen sein. Die WHO macht dabei Druck auf China, für weitere Forschungen Zugang zu den wichtigen Daten der ersten Coronafälle von 2019 zu gewähren.
In diesem Zusammenhang gehe Italien als eines der ersten und am schwersten betroffenen Länder vorbildlich vor, erklärte die WHO. „Der Austausch von Rohdaten und die Erlaubnis zur erneuten Untersuchung von Proben in Labors außerhalb Italiens spiegeln beste wissenschaftliche Solidarität wider und unterscheiden sich nicht von dem, was alle Länder, einschließlich China, ermutigen, zu unterstützen, damit wir die Studien zu den Ursprüngen schnell und effektiv vorantreiben können.“
Es ist weiter unbekannt, wie das Coronavirus auf den Menschen übertragen wurde. Um dem auf die Spur zu kommen, hatte die WHO ein Team unter Federführung des Dänen Peter Embarek Untersuchungen zum Ursprung des Virus in China anstellen lassen.
Die Mission im Januar und Februar war politisch heikel gewesen. China setzt alles daran, nicht als Sündenbock für die Pandemie an den Pranger gestellt zu werden. Es hatte sechs Monate gedauert, bis die internationalen Experten anreisen durften. Beteiligt waren 17 internationale und 17 chinesische Wissenschaftler.
Am Ende stand ein Bericht, der im März in Genf veröffentlicht wurde. Darin betonten die Experten die Notwendigkeit weiterer Studien über die Herkunft des Coronavirus aus der Tierwelt sowie einer möglichen Viruszirkulation außerhalb Chinas, bevor die ersten Fälle in Wuhan entdeckt wurden. Die Theorie, das Virus könne mit einem Laborvorfall zu tun haben, bezeichneten die Forscher als „extrem unwahrscheinlich“ – ganz im Sinne der chinesischen Regierung.
Die USA und 13 weitere Länder äußerten daraufhin Zweifel an der Studie. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte damals: „Was die WHO angeht, bleiben alle Hypothesen auf dem Tisch.“ Der Bericht sei ein wichtiger Anfang, aber nicht das Ende. „Wir haben den Ursprung des Virus noch nicht gefunden.“
Vom dänischen Fernsehsender TV2 transportierte Aussagen von Embarek scheinen der Passage zur Labortheorie in dem Untersuchungsbericht nun zu widersprechen: Dass sich ein Labormitarbeiter bei Probenentahmen von Fledermäusen im Feld infiziert habe, sei eine der wahrscheinlichen Hypothesen, sagte er laut Senderangaben im Rahmen einer gestern veröffentlichten TV-Dokumentation.
Mehrere der unterschiedlichen Theorien könnten sich auch überlappen, also etwa die Labortheorie mit der, dass die Übertragung direkt von einer Fledermaus zum Menschen stattgefunden habe.
Embarek unterstrich nach TV2-Angaben, dass die WHO-Experten keine direkten Beweise dafür gefunden hätten, dass der Coronavirusausbruch mit der Forschung an Fledermäusen in Laboren in Wuhan zusammenhänge. Sie hätten jedoch mehrere Dinge gefunden, die noch näher untersucht werden sollten.
Der WHO-Besuch in Wuhan sei wissenschaftlicher Natur und keine echte Untersuchung gewesen, er sei zudem großteils von den Bedingungen der Chinesen abhängig gewesen. Die Formulierung „extrem unwahrscheinlich“ sei ein Kompromiss gewesen, um die Labortheorie überhaupt mit in den Bericht zu bekommen.
Ein WHO-Sprecher verwies auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur darauf, dass es sich um ein vor längerem geführtes Interview handele, das Embarek als Teil der dänischen TV-Doku gegeben habe. Bei einem UN-Briefing heute verwies eine WHO-Sprecherin auf die Mitteilung der Organisation von gestern Abend. Mehr gebe es dazu nicht zu sagen.
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