Blick ins Ausland

Ärztealltag in Oman: Im Land der kostenfreien Patientenbehandlung

  • Mittwoch, 19. Oktober 2005

Omanis sind selbstbewusste Menschen und selbstbewusste Patienten, jedoch mit ihren sehr eigenen Regeln und ihren besonderen Vorstellungen von Krankheit. Bei vielen dominiert die Annahme, dass Allahs Wille den natürlichen Krankheitsverlauf regelt. Wie auf dem Souk, einem bazarähnlichen Handelsplatz voller Düfte nach Gewürzen, voller farbenprächtiger Stoffe, wird auch um den Erfolg der Therapie mit dem Arzt gehandelt. Omanische Patienten suchen nie alleine eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus auf, sondern immer zusammen mit mehreren Verwandten. Die Großfamilie übt dabei gelegentlich Druck auf den Patienten und den Arzt aus. Das gelingt ihr mit dem landläufigen Anspruch auf 100-prozentige Heilung und mit einem Gesundheitssystem im Rücken, das seit Jahrhunderten ohne Gerichte und Anwälte auskommt. Das bedeutet im Alltag einer ausländischen Ärztin Folgendes: „Eine medizinische Handlung, die nicht den gewünschten Erfolg bringt, wird traditionell als Körperverletzung gesehen und von der Familie geahndet“, erklärt Dr. med. Katharina Breidenbach gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Die Hamburgerin arbeitet seit drei Jahren als Augenärztin in der omanischen Hauptstadt Muscat. Seit zwei Jahren ist sie an einem privaten Krankenhaus tätig, das der Familie des Sultans gehört. Es gebe zwar inzwischen Komitees im Gesundheitsministerium, die sich mit den Themen „Arzthaftung“ und „Entschädigung“ beschäftigten, aber noch immer müssten ausländische Ärzte, die nach Ansicht der Familie bei einem Patienten einen Behandlungsfehler begangen haben, innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen – auch wenn der vermeintliche Kunstfehler medizinisch unbegründet sei.

Breidenbach musste schon häufig die Erfahrung machen, dass Patienten, die nach europäischen Standards über eine anstehende Behandlung aufgeklärt wurden, medizinisch notwendige Operationen ablehnten und beispielsweise eher eine Erblindung in Kauf nahmen, als das Risiko einer Standard-Operation zu akzeptieren. Das Gesundheitsministerium schreibt generelle Einverständniserklärungen für Operationen vor, die jedoch nach Meinung von Breidenbach sehr lapidar gehalten sind. Für die Augenheilkunde hat die Qaboos-Universität in Muscat zweisprachige Zusatzformulare nach US-amerikanischen Vorbild entworfen, die alle möglichen Komplikationen für die meisten Operationen auflisten. Damit will man Auseinandersetzungen vorbeugen. Eingriffe, die keine spür- oder sichtbare Verbesserung bringen oder gar eine subjektive Verschlechterung oder Schmerzen zur Folge haben (zum Beispiel eine Laserbehandlung des Augenhintergrundes bei Diabetikern), werden selten akzeptiert. „Das gilt auch schon für die regelmäßige und lebenslange Einnahme von Augentropfen bei den hier so extrem häufigen Glaukomen, die insbesondere während der Zeit des Ramadan abgesetzt werden. Die Folge ist häufig die Erblindung“, sagt Breidenbach.

Noch in den Sechzigerjahren gab es im Oman nur eine asphaltierte Straße zum Palast des Sultans, drei Knabenschulen, ein Hospital mit 25 Betten sowie 13 Ärzte. Der Staat gehörte zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Der damalige Herrscher, Said bin Taimur, ließ das Land im Mittelalter verharren, er führte Oman fremdenfeindlich und absolutistisch: Die Stadttore wurden bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen, Brillen, Fahrräder und Musik als westliches Teufelszeug verschrien. Mitte der Sechzigerjahre stieß man dann erstmals auf Öl. Im Sommer 1970 folgte eine unblutige „Palastrevolte“: Qaboos bin Said, der Sohn des Herrschers, damals gerade 30 Jahre alt, erklärte seinen Vater Said bin Taimur für abgesetzt. „Mit dem Regierungsantritt Sultan Qaboos begann der systematische Aufbau eines modernen Staates, seit neuesten auch mit freien Wahlen der Beratenden Versammlung und mit einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung“, berichtet die Augenärztin.

Heute sieht die Infrastruktur anders aus: Es gibt knapp 11 000 Kilometer asphaltierte Straßen, 1 187 Schulen für Mädchen und Jungen, fast 12 000 Studiere

Susanne Lenze

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