Als Internist in Bolivien
Als Arzt in Bolivien zu arbeiten bedeutet, sich von gewohnten Arbeits- und Lebensweisen zu trennen. Ich empfand meinen Aufenthalt vom 3. bis 28. November 2003 jedoch nicht als Verlust - im Gegenteil: die Begegnungen mit den Menschen, die Arbeit mit Patienten und Kollegen hat mich tief beeindruckt und bereichert.
Im Herbst vergangenen Jahres war die politische Situation in Bolivien äußerst angespannt. Bei schweren Unruhen in der Hauptstadt gab es viele Tote. Die Lage beruhigte sich erst wieder, als der vom Volk gehasste Präsident sein Amt niedergelegt hatte. Nur zwei Tage nach Wiedereröffnung der Flughäfen des Landes trat ich die Reise an.
Ich habe mich nach Empfehlung von Aura Esther, einer kolumbianischen Ordensschwester, am staatlichen Krankenhaus Charagua um eine Hospitation während meines Jahresurlaubs beworben. In der Stadt nahe der Grenze zu Argentinien leben etwa 10.000 Einwohner. Sie liegt in der riesigen Trockensavanne Gran Chaco, circa 200 Kilometer südlich des Handelszentrums Santa Cruz.
Mein Reisegepäck war mit 80 Kilogramm deutlich übergewichtig, denn in Rucksack und Koffer hatte ich neben den persönlichen Dingen auch Medikamente, hauptsächlich Antibiotika und Schmerzmittel, sowie Kinderkleidung gepackt. Außerdem hatte Schwester Aura Esther in einem Fax vorsichtig angefragt, ob ich nicht einen neuen Schallkopf für ein älteres Ultraschallgerät besorgen könne, welches seit zwei Jahren nicht mehr funktioniere. Der Arbeitskreis Bolivien e.V. mit Sitz in Wangen übernahm aus Spenden die Finanzierung.
Die Charaguenos leben von Ackerbau, Viehzucht und Hausarbeit. Sie kommen aus sehr unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen: Da sind zum einen die Guarani, die Ureinwohner dieses Landesteiles. Im 16. Jahrhundert besiedelten die Eroberer aus Spanien diesen Landstrich. Vor ein paar Jahrzehnten kamen die ersten Mennoniten nach Bolivien, ursprünglich radikale Protestanten, die im 16. Jahrhundert aus deutschen, schweizerischen und niederländischen Täufergruppen hervorgegangen sind. Wegen Verfolgungen flohen einige von ihnen im 18. Jahrhundert nach Nordamerika, um über Mexiko schließlich in Bolivien anzukommen.
Die Mennoniten tragen heute noch deutsche Nachnamen. Sie leben in abgeschiedenen Regionen des Gran Chaco, fernab von den Einflüssen der modernen Zivilisation. Ihre einzige Autorität ist die Bibel. Die Männer sind an den blauen Latzhosen von weitem zu erkennen. Die Frauen tragen strenge dunkle Kleider mit einfachen Blumenmustern. Familien mit zehn Kindern sind die Regel. Die Sprache der Mennoniten, die sie selbst als Plattdeutsch bezeichnen, konnte ich kaum verstehen.
Die Mennoniten sind überaus freundlich und friedfertig. Die Frauen sind sehr scheu und kommen immer in Begleitung ihres Mannes zum Arzt. Der Ehemann spricht für sie, dann aber spanisch. Für die Sprechstunde mit Mennoniten habe ich mir immer besonders viel Zeit genommen. Es bedurfte stets einer äußerst genauen Befragung und - mitunter gegen anfänglichen Widerstand der Frauen - auch gründlicher Untersuchung, um wichtige Symptome und Befunde nicht zu übersehen.
Jeden Morgen ging ich ein paar hundert Meter vom Ärztewohnhaus zur Arbeit. Diese begann um acht Uhr. Um in den Genuss einer Dusche zu kommen, musste man allerdings früh aufstehen. Denn wegen der großen Trockenheit wurde das Wasser gegen sechs Uhr bis zum Abend abgestellt. Es herrschte den ganzen Tag eine unbarmherzige Hitze von durchschnittlich 40 Grad, weshalb ich das Krankenhaus auch in der Mittagspause zwischen zwölf und 15 Uhr nicht verließ.
Das Krankenhaus ist ein weißer Flachbau am Rande der Stadt und verfügt über 32 Betten. Die Anfahrt ist ziemlich holprig, weil die Regenzeit tiefe Rinnen in die Straße gegraben und große Steine zutage gefördert hatte, die umfahren werden mussten. Vom Zustand der Stationen war ich angenehm überrascht. Die Räume waren hell und sauber, die Ausstattung zwar antik, aber gut gepflegt. Demgegenüber machte das Krankenhaus von Izozog (drei Autostun
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: