Darfur/Sudan: „Es ist wichtig, dass wir hier sind“
Ich bin Landarzt in Deutschland. Dies ist mein zweiter Einsatz für Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF). Der erste führte mich von 2002 bis 2003 in ein Projekt in Sierra Leone. Jetzt leite ich die Klinik in Kass in Süd-Darfur. In dieser Ortschaft leben derzeit schätzungsweise 77 000 Menschen – rund 48 000 von ihnen haben dort vor der Gewalt in der Region Zuflucht gesucht. Die Krankenstation wurde von Ärzte ohne Grenzen Mitte Juli eröffnet, ein sudanesischer Kollege und ich behandeln dort bis zu 200 Patienten täglich. Zusätzlich unterhält Ärzte ohne Grenzen in Kass ein Ernährungsprogramm für unterernährte Kinder und deren Familien und arbeitet an der Verbesserung der Wasser- und Sanitärbedingungen in den Lagern und in der Stadt.
Mein erster Gedanke, als ich von einem möglichen Einsatz in Darfur erfuhr: Die Arbeit an diesem Projekt während einer akuten Krise könnte sehr interessant sein. Ich wusste, dass Hilfe dort dringend benötigt wurde. So war ich innerlich auf völliges Chaos und schwierige Lebensbedingungen vorbereitet, und vor allem auf sehr viel menschliches Leid.
Bei meiner Ankunft in Kass war ich von der Struktur der Stadt ziemlich beeindruckt. Die Vertriebenen lebten hier nicht in großen Lagern wie in anderen Teilen Darfurs, sondern hatten sich unter die Einwohner gemischt. Manche drängten sich in kleinen Lagern zusammen, andere wohnten bei Gastfamilien. Einige hatten sich aus ein paar Stöcken und Plastikfolie winzige Notunterkünfte zusammengezimmert. Anderen Vertriebenen diente nicht mehr als ein Quadratmeter Folie als einziger Schutz. Ganze Familien mit sieben, acht oder neun Personen lebten in einem Zelt, in dem in Europa vielleicht ein oder zwei Menschen Platz fänden.
Die meisten Vertriebenen erzählten, wie eines Tages oder Nachts ihr Dorf überfallen, ihre Häuser zerstört, Frauen vergewaltigt und viele Männer umgebracht wurden. Die Menschen waren gezwungen, mit leeren Händen zu fliehen. Sie sprachen von der sicheren Zuflucht, die sie in Kass gefunden hatten. Zugleich machten sie sich aber immer noch große Sorgen: Wie lange sie gezwungen sein würden, dort zu bleiben, ob sie auch in der Ortschaft überfallen werden würden und wie sie genügend Nahrung und andere lebenswichtige Dinge beschaffen könnten. Menschen, die aus demselben Dorf stammten, versuchten, bei der Flucht zusammenzubleiben. Die Lager in Kass tragen nun die Namen der Dörfer, aus denen ihre Bewohner ursprünglich kamen.
Die Einrichtung der Klinik war eine Herausforderung. Direkt nach meiner Ankunft begannen wir mit den Vorbereitungen, indem wir zunächst einen Standort festlegten. Dann wurde die Klinik mit örtlichen Materialien erbaut. Wir bestellten die erforderlichen Medikamente und Hilfsmittel. Das größte Problem bestand darin, qualifiziertes medizinisches Personal und Übersetzer zu finden. Wir beschlossen, zunächst klein anzufangen: mit einem Gebäude im örtlichen Baustil aus Holz und Stroh, Rabuka genannt, ausgestattet mit einigen Tischen, Bänken und Matten sowie einer kleinen Apotheke.
Die Menschen in Kass hatten dringend auf eine Möglichkeit der medizinischen Versorgung gewartet. Die ganze Stadt hatte uns beim Bau der Klinik zugesehen, so dass am Eröffnungsmorgen Mitte Juni etwa vier- bis fünfhundert Leute wartend vor der Tür standen. Wir konnten die Menge nur mit Mühe unter Kontrolle halten, da jeder inständig auf Hilfe hoffte. Es dauerte einige Tage, bis es uns gelang, den Strom der Patienten einigermaßen in den Griff zu bekommen. Dabei mussten wir sogar einen halben Tag lang schließen, weil die Warteschlange so groß war, dass die Menschen anfingen, aufeinander zu treten.
Die Klinik steht allen offen – ob Vertriebene oder Einwohner von Kass. Wir behandeln jeden, der kommt. In den ersten Wochen behandelten ein örtlicher Arzt und ich 200 bis 250 Menschen täglich. Wir arbeiteten jeden Tag bis an die Grenze der Erschöpfung, waren aber dennoch gezwungen, viele Menschen fortzuschicken. Es ist kein gutes Gefühl, bei so vie
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