Erdbeben in Pakistan - Das vergessene Leid

Am 8. Oktober 2005 bebte die Erde im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Indien. Das Beben erreichte eine Stärke von 7,6 auf der Richterskala. Rund 85000 Menschen verloren unmittelbar ihr Leben, drei Millionen Menschen sind obdachlos. Eine unbekannte Anzahl verletzt.
Die Hilfsorganisation Humedica aus Kaufbeuren war vom 10. Oktober kontinuierlich bis zum 23. Dezember mit Ärzteteams im Katastrophengebiet im Einsatz. Am 22. Oktober erreicht ein Ablöseteam den Basisort Mansera. Es galt, die begonnenen Arbeiten fortzusetzen und zu erweitern. Der Ort Mansera ist noch weitgehend intakt, nur circa fünf Prozent der Gebäude sind zerstört, darunter allerdings das Zentralkrankenhaus. Die gesundheitliche Versorgung der Einwohner und der Bewohner des entstandenen Flüchtlingslagers findet in Zelten und in einer improvisierten Ambulanz in Kooperation mit anderen Hilfsorganisationen durch ein Team von Humedica statt. Behandelt wurden neben bereits primär versorgten Brüchen, Quetschungen und superinfizierten Wunden auch das übliche allgemeinmedizinische Spektrum.
Ein zweites Team, bestehend aus einem Arzt und einer Ärztin sowie zwei Krankenpflegern, wurde mit einem Helikopter der pakistanischen Armee in das schwer zugängliche Allei-Valley in der Nähe des Epizentrums geflogen. Hier sollen medizinisch bislang noch nicht oder nur unzureichend versorgte Patienten betreut werden.
Die Situation der Menschen in den Bergdörfern, die auf einer Höhe von 1 800 bis 2 100 Metern liegen, war und ist katastrophal. Die Schwerstverletzten sind mittlerweile ausgeflogen worden oder gestorben. Doch noch immer leiden viele Menschen unter nicht versorgten Frakturen, insbesondere unter Finger- beziehungsweise -endgliedamputationen. Die Menschen graben mit bloßen Händen nach ihren Angehörigen. Dabei verursachen abrutschende Steine diese Verletzungen.
Die Arbeitsmöglichkeiten sind beschränkt. Die Dörfer sind nur zu Fuß zu erreichen, die notwendigen Medikamente und Verbandsmaterialien werden im Rucksack transportiert. Die Behandlungen der täglich etwa 160 Patienten finden unter freiem Himmel auf Bettgestellen statt. Neben vielfach superinfizierten Quetschungen und Wunden werden zunehmend Durchfallerkrankungen behandelt. Die Rate der Pneumonien bei Säuglingen und Kleinkindern steigt mit dem Absinken der Nachttemperaturen rapide an. Es werden die ersten Masernerkrankungen diagnostiziert und mit einem von der Weltgesundheitsorganisation geliefertem Impfstoff werden mehr als 500 Kinder geimpft.
Der notwendige Nachschub an medizinischem Material aber auch die Versorgung der Menschen mit Zelten, Nahrungsmitteln und Decken sowie der Abtransport der Schwerkranken erfolgt per Hubschrauber. Die Transportkapazitäten sind allerdings viel zu gering, die Rettungsflüge nicht planbar. Ein Patient mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma (GSC 8) und Verdacht auf Schädelfraktur kann zum Beispiel erst nach 24 Stunden evakuiert werden. Die Grenzen der unter diesen Bedingungen möglichen Medizin werden immer wieder erreicht, die persönliche Auseinandersetzung mit dieser Situation erfordert viel Kraft. Trotzdem kann man auch unter diesen improvisierten Bedingungen Schmerzen und menschliches Leid lindern, anspruchsvolle medizinische Versorgungen durchführen, Hoffnung geben.
Sehr belastend für alle waren die häufigen und heftigen Nachbeben tags wie nachts. Die Angst und Panik zeichnet sich in den Gesichtern der schwerst traumatisierten Menschen ab.
Viele Menschen sind im jetzt einsetzenden Winter nahezu ungeschützt Temperaturen von bis zu – 20 °C und Schneehöhen von bis zu zwei Metern ausgesetzt. Die Hilfsflüge müssen aufgrund der Wetterlage immer wieder eingestellt werden. Die medizinische Versorgung ist unter diesen Bedingungen nicht kontinuierlich und ausreichend möglich. Ohne weitere internationale Unterstützung werden viele Menschen in dieser Region den Winter nicht überleben.
Dr. med. Michael Brinkmann, E-Mail: mi.brinkmann@gmx.net
Spendenkonto: HUMEDICA, Sparkasse Kaufbeuren, Kontonummer 47 47, BLZ 73450000, Stichwort: “Ärzteteam Pakistan“
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