Famulatur in Kenia: Medizin außerhalb der Grenzen

Es gibt mindestens zwei Gründe, die deutsche Medizinstudenten dazu veranlassen, praktische Erfahrung in einem Entwicklungsland zu sammeln: Zum einen das Bedürfnis, den eigenen Horizont über die Grenzen von Wohlstandskrankheiten, ICD 10-Codes, und Überbehandlung hinaus zu erweitern, zum anderen das oft beklemmende Gefühl, nach etlichen Semestern Theorie und halbherzig organisierten Praktika immer noch nicht gelernt zu haben, was einen (realistisch) auf die Anforderungen im Beruf vorbereitet. So auch bei mir. Ich entschied mich für ein methodistisches Missionskrankenhaus in Maua, Kenia, einem kleinen Ort 300 Kilometer nordöstlich von Nairobi.
Das „Maua Methodist Hospital“ liegt in 1500 Metern Höhe in der Region Nyambene. Der Ort Maua hat circa 50 000 Einwohner, die löchrige Asphaltstraße endet hier. Der größte Teil der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft, vorwiegend Tee, ein wenig Obst und Gemüse, und vor allem Miraa, entsprechend dem Khat im Jemen eine Blätterpflanze, die Amphetaminderivat enthält. Die Blätter werden überall in der Region gekaut oder verkauft. Das gesellschaftliche Leben erinnerte mich an Erzählungen über das Mittelalter. Es ist von enorm patriarchischen Strukturen geprägt und zusätzlich stark religiös.
Die Frauen haben in dieser ländlichen Gegend gar nichts zu sagen. Die Zahl der Analphabeten ist extrem hoch. Auf der anderen Seite genießt die Familie einen sehr hohen Stellenwert. Die Familienältesten aber auch andere Familienmitglieder werden manchmal von bis zu 14 Angehörigen ins Krankenhaus begleitet. Die Bevölkerung spricht vorwiegend die Stammessprache Kimeru. Englisch und Kishuaheli benutzen nur Leute mit einer gewissen Schulbildung. Da diese in der Minderheit sind, ist man als Fremder immer auf Übersetzer angewiesen. Das erschwert den Kontakt und mindert die Genauigkeit der Krankengeschichte.
Das Krankenhaus ist der größte Arbeitgeber in der Region und verfügt über eine pädiatrische, zwei internistische (Männer und Frauen), eine geburtshilfliche und eine chirurgische Station. Hinzu kommen drei Operations-Säle, ein Kreissaal, die Ambulanz, ein Zentrum für Familienplanung und -beratung, eine Pflegeschule und als besonderes Juwel: ein Rehabilitationszentrum für behinderte Kinder. Das Krankenhaus betreut jährlich bis zu 7 500 Patienten stationär und 30 000 ambulant. Der Jahresumsatz beläuft sich auf umgerechnet 1,5 Millionen Euro. Das Hospital beschäftigt vier fest angestellte Ärzte, drei davon aus Europa.
Darunter ist auch Dr. med. Dietmar Ziegler aus Deutschland, der 1998 als erster Hospitalchirurg nach Maua kam, kaum dass der Zement der neuen Gebäude für Chirurgie und Geburtshilfe trocken war. Ziegler und seine Frau Birgit haben die Abteilung aufgebaut und organisiert. Als Dank oder Strafe hat er vor einem Jahr nun auch den Posten des Medical Superintendent aufgedrückt bekommen. Des weiteren arbeiten regelmäßig bis zu drei kenianische Ärzte für einige Monate im Hospital. Zusätzlich sind regelmäßig Medizinstudenten aus Kenia oder dem Ausland zu Gast, von denen die kenianischen und englischen, so Ziegler, aufgrund ihres praxisnahen Studiums die größte Hilfe sind, während die deutschen sich gerade am Anfang äußerst schwer tun.
Die Ausbildung der kenianischen Medizinstudenten findet nämlich nach dem Physikum fast nur noch auf Station statt, wo sie, Praxis und Theorie zusammengefaßt, Schritt für Schritt an die Verantwortung herangeführt werden, bis sie schließlich eigene Patienten behandeln. Nach Abschluss des Internship (AiP), in dem sie quasi universell eingesetzt werden (und bis zu 200 Kaiserschnitte selber vornehmen), sollten sie dazu in der Lage sein, im Zweifelsfalle alleine ein Landkrankenhaus zu leiten. Wer glaubt, kenianische Medizinstudenten verfügen über nur geringes Hintergrundwissen, der täuscht sich sehr.
Ab und zu profitiert das Hospital ungemein von Fachärzten und Spezialisten aus den Industriestaaten, die als Gäste ohne Honorar für ein bis 12 Wochen bleiben<
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