Blick ins Ausland

Flutkatastrophe/Sri Lanka: Als die Zeit stehen blieb

  • Mittwoch, 22. Juni 2005

Silvester 2004 in circa 10 000 Meter Höhe über dem Iran zu „feiern“, hätte ich mir noch vor wenigen Tagen nicht vorstellen können. Doch am 2. Weihnachtstag informiert mich die deutsche Hilfsorganisation „humedica“ darüber, dass es aufgrund eines Seebebens in Südostasien zu einer Flutkatastrophe gekommen ist. Des Weiteren fragt sie an, ob ich vier Stunden später mit einem ersten Vorausteam nach Sri Lanka fliegen könne. Ich schalte als erstes den Fernseher ein und informiere mich. Die ersten Meldungen deuten auf eine unvorstellbare Naturkatastrophe hin. Ich führe Telefonate und überprüfe meine beruflichen Verpflichtungen. Es stellt sich rasch heraus, dass ich nicht sofort mitfliegen kann. Das Ziel der in Kaufbeuren ansässigen Hilfsorganisation ist es, sehr schnell medizinische Hilfe in Krisengebiete zu senden. In den Jahren 2001, 2002 und 2003 war ich als Arzt mit „humedica“ in den Kriegs- beziehungsweise ehemaligen Bürgerkriegsgebieten in Afghanistan, Angola und Liberia.

In den folgenden Tagen sondiere ich die Möglichkeiten, mit dem nächsten Team ins Krisengebiet zu fliegen. Meine Kolleginnen und Kollegen erklären sich bereit, meine Sprechstunden und Arztmobileinsätze im Rahmen der medizinischen Versorgung Wohnungsloser in Mainz und Umgebung zu übernehmen. Mein Arbeitsgeber, die Georg-Simon-Ohm Fachhochschule in Nürnberg, ist mit einem Einsatz einverstanden, sofern der Lehrbetrieb nicht nachhaltig eingeschränkt und gestört wird. Am 31. Dezember 2004 fliege ich mit dem zweiten Einsatzteam von Frankfurt nach Colombo (Sri Lanka). Wir sind neun Personen: vier Ärzte, zwei Rettungssanitäter, zwei Apotheker und ein Rundfunkjournalist.

Zusätzlich führen wir mehr als eine Tonne Medikamente und Verbandsmaterial mit uns. Am Tag nach der Ankunft in Colombo fliegen wir weiter nach Jaffna, im Norden von Sri Lanka. Unser Einsatzort ist Point Pedro. In der Nähe des Ortes unterhält „humedica“ seit mehr als zehn Jahren ein Waisenhaus, in dem wir auch unseren Stützpunkt aufschlagen. Wir befinden uns im so genannten Tamilengebiet. Seit mehr als 30 Jahren herrscht in dieser Region Bürgerkrieg. Seit einer militärischen Offensive der Singhalesen vor drei Jahren kontrolliert das singhalesische Militär das Gebiet. Die Tamilen werden geduldet. Nach der Ankunft fahren wir zunächst zu unserem Vorausteam, das mit der medizinischen Hilfe in den Flüchtlingslagern schon begonnen hat. Ein singhalesisches Koordinierungsbüro organisiert und leitet die gesamte Hilfe. Nach einem ersten Erfahrungsaustausch und einer Situationsanalyse fahren wir an die Küste. Es macht sich vereinzelt ein süßlicher Geruch breit – verbrannte hinduistische Todesopfer der Flutwelle?

Die Küstenregion ist vollkommen zerstört. Häuser sind weggerissen, zusammengefallen, Boote haben sich wie Geschosse in Häuser gebohrt, ein Schulbus liegt auf der Seite. Obwohl wir in den Tagen zuvor viele ähnliche Bilder im Fernsehen gesehen haben, hat das persönliche Erleben eine andere Dimension. Die Atmosphäre von Fassungslosigkeit zu spüren, macht betroffen und führt zu einer eigentümlichen Beklommenheit.

Die Gegensätzlichkeit der Bilder und Eindrücke irritiert. In der einen Richtung blickt man auf ein ruhiges, tiefblaues Meer, mit einem wunderschönen Sandstrand unter Palmen. In der anderen Richtung liegt die nackte Zerstörung. Ein Fischer, der vor seinem zerstörten Boot sitzt und versucht, das zerfetzte Netz zu flicken, berichtet immer noch ungläubig und fassungslos, dass die Flutwelle ungefähr acht bis neun Meter hoch gewesen sei.

Während die Aufräumarbeiten fünf Tage nach der Katastrophe scheinbar noch nicht begonnen haben, ist das Militär dabei, die militärischen Stellungen am Küstenstreifen erneut zu sichern. Sandsäcke, MG-Stellungen, Stacheldrahtabgrenzungen werden errichtet. Gibt es in diesem Moment wirklich nichts Wichtigeres?

Die Arbeit in den Flüchtlingslagern beginnt: Jeden morgen fahren wir von unserem Stützpunkt in Manipay circa eine Stunde über zum Teil katastrophale S

Gerhard Trabert

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