Blick ins Ausland

Mit Arztköfferchen und Banjo in Irland

  • Mittwoch, 19. Juni 2002

Ich weiß nicht, was ich mehr liebe, die Musik, die Medizin oder meinen Reiseschuh. Letzterer hat mich in den letzten Jahren mit Begeisterung kreuz und quer durch die Weltgeschichte getrieben, zuletzt durch Irland, Schottland und Kolumbien. Mein Arztköfferchen und die Gitarre waren immer mit dabei. Jetzt habe ich auch noch eine Mandoline, eine Bouzouki, und ein Banjo im Gepäck. Das Irish Folk Virus hat mich wie viele andere gepackt und in seinen Bann gezogen.

Allgemeinmedizinisch bin ich gewappnet, mich niederzulassen, sozusagen reif für einmal lebenslänglich. Mit 35 Jahren kann man ja auch mal vorsichtig ans erwachsen werden denken. Doch der Reiseschuh juckt wieder unerträglich. Wie hätte es also diesmal auch anders sein können, als dass mir ein weiteres Mal ein Umweg einfallen würde. Noch ein mal nach Irland, als Dorfarzt im Westen der grünen Insel. Nachdem die Entscheidung gefallen war, erfolgte die Vermittlung genauso freundlich wie professionell durch die einzige Agentur für Allgemeinärzte in Irland, Locumotion in Dublin (www.locumotion.com).

April 2001. Heute soll also ein Traum in Erfüllung gehen, mein erster Tag als Inseldoktor auf den Aran Islands. Das sind Inishmore, Inishman und Inishere, drei kleine mystische sagenumwobene Inseln im Westen von Galway. Inish steht für Insel, -more für groß, -man für mittel und –ere für östlich. Viele Bücher sind über sie und auf ihnen geschrieben worden. Ihre Einsamkeit, Schönheit und Geschichte locken unwiderstehlich. Ungefähr 1500 Menschen wohnen auf ihnen, viele sprechen nur Irisch. Zwei Doktoren teilen sich die Arbeit, und ich habe eine Urlaubsvertretung für zunächst drei Wochen in Aussicht. Ich weiß noch nicht, dass es mehrere Monate werden sollen.

So sitze ich gespannt wie ein Flitzebogen im meinem dreizehn Jahre alten Golf und klappere von Galway über Spiddal zum kleinen Aran Airport Aer Árainn. Es ist windig, aber die Sonne scheint, die Szenerie ist wunderschön, die Hügel der Twelve Bens sind spektakulär, Connemara vom Feinsten. Pünktlich um 9.45 trete ich erwartungsvoll und vollbeladen mit einem großen und einem kleinen Rucksack, dem Arztköfferchen und der Bouzouki in das Rezeptionsvorzimmerchen ein. Meine 10saitige Bouzouki habe ich mir vor zwei Jahren zur Belohnung zum Bestehen der britischen Allgemeinmedizinerprüfung (MRCGP) geschenkt. Sie ist ein wahres Prachtstück und ich hüte sie wie meinen Augapfel. Im Warteräumchen lerne ich James kennen, der schon seit vier Monaten auf den Inseln als Doktor arbeitet. Er sitzt dort in Mütze, Schal und leicht zerlumptem Trenchcoat, und ich erkenne, dass ich mein Jackett genauso gut im Auto hätte lassen können. Genau 10 Leute passen in die Islander Aircraft, den Piloten mitgezählt.

Es ist zu stürmig zum Abheben, und wir warten bei Tee und Scones auf weniger Wind. Und warten. Und warten. Bis der freundliche Flugplatz Rezeptzionist uns mitteilt, dass der Flug der widrigen Witterung halber auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Die anderen Passagiere gucken in die Röhre, aber er hat ein Erbarmen mit den Doktors und fährt uns mit quietschenden Reifen zur Fähre, die wir noch so gerade erwischen. Ganz vorne sind noch genau zwei Plätze frei, und ich freue mich über diesen Abenteuer-Urlaub.

Doch die Freude währt nicht lange. Die See tobt, rauf und runter geht der Horizont, und mir schwant ganz Übles. Die amerikanischen Damen hinter uns hat es schon erwischt. Das laute Geschnatter ist verstummt und wir vernehmen nur recht unappetitliche Geräusche. Diverse Köpfe sind in Tüten vergraben. Eine Tür geht auf, und eine Welle bricht über uns herein. James’ Rucksack wird ein paar Sitzreihen weiter nach hinten gespült. Ein Smutje beweist, dass er ein Held ist, er schwimmt gegen den Strom, und die Tür ist wieder zu. Ich hangele nach meinem Wunderköfferchen, werfe schnell eine Antiseekranktablette ein, doch es ist schon zu spät. James bescheinigt mir eine saftig grüne Gesichtsfarbe, und nur Sekunden später habe ich Aussicht<

Dr. med. Hans-Olaf Pieper

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