Blick ins Ausland

Nepal: Medizin unter einfachsten Bedingungen

  • Freitag, 26. Januar 2007
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Schöner kann ein Krankenhaus (Mitte unten) wohl kaum gelegen sein. Im Hintergrund ist ganz links der Manaslu (8156 Meter) zu erkennen Foto: Elisabeth Gerono

Während bei uns Weihnachten vor der Tür steht,  erinnern sich die Menschen in Nepal vermutlich noch wehmütig an Dashain, das wichtigste hinduistische Fest. Dabei kommen ab Ende September die Familien für bis zu 15 Tage zusammen, um ihren Glauben zu leben und gemeinsam große Festmahle zu veranstalten. Zu Beginn dieser Zeit famulierten meine Freundin und ich in einem Krankenhaus, das von den Errungenschaften der Moderne noch weit entfernt ist.  

Im Bergland Nepals im südwestlichen Teil des Gorkha Distrikts befindet sich das Krankenhaus von Amppipal, wunderschön am Hang gelegen mit Blick auf zahlreiche Schneegipfel. Die holprige Straße vom etwas höher liegenden Dorf zum Hospital gibt es erst seit einem dreiviertel Jahr. Doch nach wie vor kommen die Patienten zu Fuß oder werden von ihren Angehörigen getragen. Wie weit sie vom Krankenhaus entfernt wohnen, ist im Aufnahmebogen vermerkt. 6 Tage war wohl bisher das Weiteste. Amppipal ist das, was man Provinz nennt. Von den jungen Ärzten möchte hier keiner hin, der Regierungsarzt lässt sich nur selten blicken. So bleibt die meiste Arbeit an Dr. Wolfhard Starke hängen, einem deutschen Chirurgen im Ruhestand.

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Der Autor inmitten des etwas verkramten Operation Theatres. Foto: Elisabeth Gerono

Der Typhus ist in Amppipal allgegenwärtig, auch Tuberkulose und Lepra sind nicht selten. Die Versorgung mit entsprechenden Medikamenten ist in der Regel kein Problem, dafür mangelt es an grundlegenden Dingen. Es gibt keinen regelmäßigen Strom, keine Blutbank, nur ein jeweils sehr einfaches Röntgen- und Ultraschallgerät. Mangels einer Mikrobiologie wird bei infektiösen Erkrankungen in der Regel empirisch behandelt. In naher Zukunft sollen ein Notfallset und ein Aufwachraum eingerichtet werden, unter anderem mit Spenden von Nepalmed. Dieser Verein arbeitet ehrenamtlich von Grimma (Sachsen) aus und unterstützt zwei nepalesische Krankenhäuser, darunter jenes in Amppipal.    

Offiziell ist Dr. Wolfhard Starke medical volunteer, inoffiziell schmeißt er ohne Gehalt das Krankenhaus in Amppipal fast allein. Er lebt mit seiner Katze einsam und asketisch im am höchsten gelegenen Haus am Hang. Menschlich bisweilen schwierig, ist sein soziales Engagement auf formaler Ebene äußerst bemerkenswert. Über seine medizinischen Leistungen hinaus kümmert er sich um alle Belange des Krankenhauses, von den Toiletten bis zur Verteilung der Fond-Gelder zur Unterstützung der Armen. Außerhalb des Krankenhauses bemüht er sich zur Zeit um die Verbreitung von Öfen mit einem richtigem Abzug, was die Luft in den Häusern erheblich verbessern und chronischen Lungenerkrankungen vorbeugen würde.

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Dr. Wolfhard Starke (re), sein junger Assistent Prashant (li) und die OP-Schwester Nanu (Mitte) bringen per Kaiserschnitt eine kleine Nepalesin zur Welt.

Die täglichen Operationen in Amppipal waren für uns immer etwas ganz Besonderes. Aus Mangel an erfahrenen Ärzten und dem Luxus eines Anästhesisten ist der OP die Bühne einer professionellen Starke'schen Einmannshow. Von Haus aus Unfallchirurg entfernt er mittlerweile sogar Gebärmuttern, macht Kaiserschnitte oder operiert am Darm. Das Meiste wird in Spinalanästhesie erledigt. In der Regel assistiert ihm der ungelernte OP-Pfleger Janga. Dieser ist sehr geschickt und macht die eine oder andere kleine OP auch schon mal selbst.Wir haben in unserer Zeit dort keine einzige Komplikation erlebt.

Jeden Morgen erwachten wir mit Blick auf den Hausberg Ligligkot und die Annapurna-Kette – ein atemberaubendes „Gemälde“, das Stunde um Stunde seine Farben wechselte. Mit welcher Wucht die Sieben- und Achttausender des Himalaja in den Himmel ragen, lässt sich nur schwer beschreiben. „Die Alpen mal zwei“ gibt nicht annäherungsweise den Eindruck wieder, der sich einstellt, wenn der Kopf demütig in den Nacken sinkt.

Der Ligligkot und Amppipal sind im Übrigen die „Wiege Nepals“. Denn wer einst in einem Wettrennen als Erster den Gipfel erreichte, wurde König der Region. Und einer dieser Könige hat es vor cirka 250 Jahren in einem grausamen Eroberungszug geschafft, erst Gorkha und dann das Kathmandutal zu unterwerfen. Somit war Nepal geeint. 

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Stationsalltag in Amppipal: Die Patienten werden von ihren Angehörigen versorgt, für die unter den Betten Holzpritschen zum Übernachten bereit stehen. Foto: Elisabeth Gerono

Davon und von vielem anderen wusste auch der 27-jährige Assistenzarzt Prashant zu berichten. Er ist Brahmane, also in der obersten Kaste, und hat in St. Petersburg studiert. Seine Art ist ziemlich westlich, und er lehnt sowohl das Kastensystem als auch den Hinduismus im Allgemeinen für sich ab. Es ist, als lebte er ein wenig zwischen den Welten. Er ist kein Europäer, aber auch kein richtiger Nepali mehr. Die Arbeit auf dem Land unter ungebildeten Menschen, die einer mittelalterlichen Welt entstammen, hat er dennoch freiwillig gewählt, weil er dort viel lernen und Verantwortung tragen kann. Und in der Tat, Prashant  erledigt seine Arbeit mit einer für einen Arzt seines Alters ungewöhnlichen Souveränität. Das ist der besonderen Situation in Amppipal geschuldet. Abgesehen von seiner selbstständigen Vorgehensweise im OPD (Outpatient Department = Ambulanz) und gelegentlichem Assistieren im OP, ist es schon vorgekommen, dass Dr. Starke in Deutschland war und alle Verantwortung wochenlang auf seinen jungen Schultern lastete. In Amppipal hat man dann immer Dienst. Tag und Nacht, von Sonntag bis Samstag.

Wir mochten ihn sehr, obwohl er manchmal den Brahmanen trotz gegenteiliger Rede nicht ganz ablegen konnte. Bei Patienten niedriger Kaste (z.B. mit dem Nachnamen Nepali) war er bisweilen schon etwas schroffer. Dennoch: Er und fast alle Menschen, die wir in diesem faszinierenden Land getroffen haben, waren ausgesprochen herzlich. Die vielen Einladungen zum Dashain-Fest, die wir in unserer letzten Woche in Nepal bekommen haben, zeugen davon.

Weitere Informationen zu Amppipal und der Arbeit von Nepalmed finden sich unter www.nepalmed.de. Mögliche Spenden bitte unter Angabe Ihrer Adresse (falls Spendenbestätigung gewünscht) auf folgendes Konto: Sparkasse Muldental Grimma, KNr. 1010052086, BLZ 86050200.

Benjamin Metzlaff

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