Dr. werden ist nicht schwer...
Deutsche Notaufnahmen benötigen mehr Restriktion
Es passiert derart häufig, dass man es schon für normal halten sollte, und dennoch erstaunt es immer wieder, wie unterschiedlich und bisweilen banal die Gründe sind, aus denen Patienten die Notaufnahmen der Kliniken auch zu unmöglichsten Zeiten aufsuchen.
Liegt es daran, dass die Menschen ihr Zeitgefühl verlieren, wenn Supermärkte bis Mitternacht geöffnet haben und Sonntage häufig verkaufsoffen sind? Oder hoffen die Leute darauf, dass meine Kollegen und ich so aussehen wie George Clooney und seine Mitstreiter? Was treibt beispielsweise jemanden, der seit drei Wochen wiederholt unter Nasenbluten leidet, dies bei unveränderter Beschwerdesymptomatik ausgerechnet Dienstagmorgen um halb vier abklären zu lassen? Oder nehmen wir die junge Dame mit Brennen beim Wasserlassen seit acht Tagen…
Wenn ich es mit solchen vermeintlichen Notfällen zu tun habe, spielt sich in etwa immer folgendes ab: Anruf – zweiter Anruf – ich wache auf und gehe endlich dran – Schwester: „Patient X mit banalen Beschwerden Y in der Notaufnahme“ – ich: „Das ist doch ein Scherz, oder?!“ – „Nein… musst herkommen.“ – Fluch – aufstehen – anziehen – bemerken, wie ein neues graues Haar sprießt, während zwanzig zuvor kräftige und farbfrohe ohne Aussicht auf Ersatz ausfallen – vollkommen unmotiviert in die Notaufnahme schlendern – Patient X mürrisch begrüßen – Untersuchung – Rezept – „Sie haben Y, dafür müssen sie nicht nachts um halb drei in die Notaufnahme kommen. Die wurde für echte Notfälle…“ – Patient X, der die Take-home-message sicherlich für sich zu einer leave-it-here-you-can-come-back-at-any-time-message umwandelt, verabschieden – das mittlerweile erreichte Wachheitsniveau nutzen, um mit dem gleichzeitig wachen Personal Kopfschütteln auszutauschen und wieder ab ins Bett mit einem Gebet, dass dies der letzte solche Fall für diesen und alle zukünftigen Dienste war. Der Erfolg solcher Gebete erzeugt vermutlich Atheisten.
In meinem letzten Dienst nutzte eine junge (und zugegebenermaßen hübsche) Patientin meine halbherzige Predigt, um mir mit verschmitztem Lächeln zu entgegnen: „Dann hätte ich aber Sie nicht kennengelernt…“. Ich erwiderte die wahrscheinlich sogar nett gemeinte Geste mit einem Lolli, den wir eigentlich für Kinder vorgesehen haben und entließ die zufriedene Dame in die Beschwerdefreiheit.
Unvergessen wird auch eine Episode aus dem PJ bleiben, als sich eine Dame vormittags in die Notaufnahme setzte und erst nach 26 (!) Stunden wunderte, dass man sie noch nicht aufgerufen hatte. Aus ihrem bei Erscheinen noch recht harmlosen Krankheitsbild hatte sich dank Unterzuckerung und Exsikkose ein aufnahmewürdiges entwickelt.
Hat sich das mit dem Mitdenken vor dem Aufsuchen einer Notaufnahme jedoch anders vorgestellt,
Euer Anton Pulmonalis
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