25-Jahre Tschernobyl: Alles halb so schlimm?
Anlässlich des Gedenktages und der aktuellen Ereignisse in Fukushima wirkt die Übersicht, die US-amerikanische Radioonkologen im New England Journal of Medicine über die kurz- und langfristigen Risiken von Reaktorunfällen veröffentlicht haben, schockierend.
Von der German Angst vor der unsichtbaren Strahlung ist in dem Beitrag von John Christodouleas und Mitarbeitern der Universität Philadelphia, die täglich mit ionisierenden Strahlen umgehen, nichts zu spüren. Streng sachlich werden die gesicherten Fakten dargelegt.
Gerade einmal 134 Patienten, Mitarbeiter des Reaktorbetreibers oder des Interventionsteams, haben gesichert eine akute Strahlenerkrankung entwickelt. Von Strahlenschäden unter den Legionen der Liquidatoren ist keine Rede.
Was nicht exakt belegt ist, findet keine Eingang in die Übersicht. Auch das Krebsrisiko in der Umgebung des Reaktors wird eher als gering betrachtet. Während unter den Atombombenüberlebenden ein Anstieg von Leukämien und soliden Tumoren gefunden wurde, sei dies nach Tschernobyl bisher nicht aufgetreten. Gesichert ist nur ein Anstieg der Schilddrüsenkrebserkrankungen unter Kindern.
Christodouleas zitiert Untersuchungen, nach denen es pro 1 Gray Strahlenbelastung zu einem Anstieg des Risikos um den Faktor 2 bis 5 gekommen ist. Bei einer Hintergrundinzidenz dieses Tumors im Kindesalter von weniger als 1 pro 100.000 ist der Schaden nach Ansicht der Autoren begrenzt, der sich durch die prophylaktische Einnahme von Jod noch weiter vermindern lasse.
Das sind Aussagen, die sich derzeit (noch) nicht einmal (wieder) die Lobbyisten der Kraftwerksbetreiber trauen. Die Wirklichkeit in der Wissenschaft sieht allerdings so aus, dass eine Hypothese so lange gilt, bis sie durch neue Daten widerlegt wird. Die Kultur der Verheimlichung am Ende der Sowjetunion hat vermutlich verhindert, dass die gesundheitlichen Folgen für die Liquidatoren und die evakuierte Bevölkerung exakt benannt werden können.
25 Jahre später und in einem Land mit einer anderen Kultur der Öffentlichkeit sollte sich wenigstens in diesem Punkte etwas ändern. Es wird sicherlich noch eine Flut von Publikationen geben, die ein genaueres Bild von den gesundheitlichen Konsequenzen von Fukushima entwerfen werden.
Aufschlussreich ist eine Analyse von Nature und der NASA. Danach leben bei mehr als der Hälfte der weltweit betriebenen 211 Atomreaktoren mehr Menschen in der 30-Kilometer-Umgebung als in Fukushima Daiichi. Dort sind es 172.000. Bei 21 Reaktoren müssten sogar mehr als 1 Million Menschen ihre Koffer packen, wenn sich ein ähnlicher Unfall ereignen würde.
In der Umgebung von sechs Reaktoren sind es jeweils mehr als 3 Millionen. Und in der Umgebung von 152 Reaktoren gibt es mehr als 1 Millionen Bewohner in der Umgebung von 75 Kilometern, der bei einer ähnlichen Katastrophe nur die Hoffnung auf günstige Windverhältnisse bliebe.
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