Genie und Wahnsinn – der epidemiologische Beleg
Ernest Hemingway, Virginia Woolf und Hans Christian Andersen litten unter Depressionen, Robert Schumann und Graham Greene litten an einer bipolare Störung. Van Gogh, ein klarer Fall von Schizophrenie, Mozarts Verhalten sicher wegen eines Tourette-Syndroms grenzwertig, und Hölderlin war wohl auch nicht ganz dicht im Kopf. Für den Volksmund gilt ohnehin schon immer, dass Genie und Wahnsinn eng beieinander liegen.
Den epidemiolgischen Beleg hierfür liefert Simon Kyaga vom Karolinska Institut in Stockholm, der die Berufe von 1,2 Millionen psychiatrischer Patienten und ihrer Verwandten analysierte. Schon im letzten Jahr konnte der Forscher zeigen, dass mentale Erkrankungen wie die bipolare Störung bei Künstlern, aber auch Wissenschaftler häufiger auftreten als in der Allgemeinbevölkerung. Jetzt hat Kyaga die Analyse um weitere psychiatrische Diagnosen erweitert.
Schweden, die als Beruf Tänzer, Forscher, Fotograf oder Autor angegeben hatten, leiden häufiger als andere an Schizophrenie, Depression, Angsterkrankungen oder Drogensucht. Sie haben auch ein im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung um 50 Prozent erhöhtes Suizidrisiko. Genie und Wahnsinn treten familiär gehäuft auf: Patienten mit Schizophrenie, bipolarer Störung, Anorexia nervosa und bis zu einem gewissen Grad auch Autismus haben häufiger Kreative in der Verwandtschaft.
Für Kyaga stellt sich da die Frage nach therapeutischen Konsequenzen. In der Medizin und in der Psychiatrie werde vielleicht häufig in schwarz-weiß-Kategorien gedacht, mutmaßt er. Mag sein, dass nicht alle psychiatrischen Symptome behandelt werden müssen. Dass eine Behandlung mentaler Symptome die Kreativität mildert, ist jedoch nicht belegt. Es ist umgekehrt denkbar, dass Hemingway und Woolf noch weitere bemerkenswerte literarische Werke produziert hätten, wenn sie ihrem Leben nicht vorzeitig ein Ende bereitet hätten.
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