Gesundheit

Sparganose: Wenn ein Bandwurm durch das Gehirn wandert

  • Montag, 24. November 2014

Der 50-jährige Mann chinesischer Herkunft klagte über Kopfschmerzen, epileptische Anfälle, er litt unter Geruchs- und Gedächtnisstörungen sowie rechtsseitigen Schmerzen. Die erste kernspintomographische Aufnahme zeigte merkwürdige ringförmige Strukturen im rechten medialen Temporallappen. Die britischen Neurologen vermuteten eine Entzün­­dung oder einen Tumor. Die übliche Infektionsserologie auf HIV, Tuberkulose, Lyme-Borreliose, Syphilis etc. war jedoch negativ. Und in einer Hirnbiopsie wurden keine Tumorzellen gefunden, sondern nur unspezifische Entzündungszeichen. Die Verlegen­heitsdiagnose lautete Tuberkulose.

Die Verwirrung stieg, als sich die Läsion in den nächsten vier Jahren in den Kernspin-Aufnahmen langsam Richtung Hirnmitte und dann in den linken Thalamus bewegte. Dort wurde in einer zweiten Biopsie ein 10 cm langer Bandwurm geborgen, allerdings ohne Mundwerkzeuge und Hakenkranz. Tropenmediziner aus Londen identifizierten ihn als Vertreter von Spirometra erinacei-europaei, der vor allem in Ostasien verbreitet ist. Sein Wirt sind Hunde und Katzen, die die Eier mit dem Kot ausscheiden. Die weitere Entwicklung erfolgt in kleinen Ruderfußkrebsen.

Menschen können sich über kontaminiertes Trinkwasser oder den Verzehr von Wasser­tieren infizieren. In China gelten Frösche und Schlangen als Delikatesse. Sie werden auf Wochenmärkten gehandelt und ihr Fleisch häufig roh verzehrt. Umschläge aus rohem Froschfleisch sind in China ein Naturheilmittel gegen Augenleiden. Auf China entfielen denn auch die meisten der weltweit bisher etwa 1.400 dokumentierten Erkrankungen. In Europa ist die Sparganose sehr selten. Tropenmediziner aus Würzburg und München berichteten allerdings kürzlich über die Infektion einer Frau aus Japan, die vor 42 Jahren nach Deutschland emigrierte, zwischenzeitig aber Japan und China besuchte und sich von dort konservierte Nahrungsmittel zuschicken ließ (Am. J. Trop. Med. Hyg. 2013; 88: 198–202).

Der Mensch ist ein Zwischenwirt, in dem das Sparganum – wie das zweite Larvenstadium genant wird – mehr oder weniger ziellos herumirrt. Laut der US-Centers for Disease Control and Prevention kann ein Sparganum bis zu 20 Jahre im menschlichen Körper überleben. Es kann dabei das subkutane Gewebe, die Brust, die Augen, Harnwege, Pleura, Lunge, die Baucheingeweide und auch das zentrale Nervensystem durchstreifen. Dort kommt es dann zu neurologischen Symptomen wie bei dem chinesischen Patienten, dem die Tropenmediziner übrigens rasch helfen konnten. Er wurde unmittelbar nach der zweiten Operation mit Albendazol behandelt und soll sich seither in einem guten Gesundheitszustand befinden.

Den Parasiten schickten die Mediziner zum Wellcome Trust Sanger Institute nach Cambridge. Dort gelang es den Forschern, aus nur 0,048 µg DNA das Erbgut des Parasiten zu entschlüsseln. Es ist etwa 10-mal größer als bei allen anderen Bandwürmern und mit 1,26 Gb etwa ein Drittel so groß wie das menschliche Genom. Ein beträchtlicher Teil entfällt den Forschern zufolge auf Gene für Proteinwerkzeuge, die dem Parasiten das Eindringen und das langfristige Überleben in seinen Wirten sichern./rme

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