Gesundheit

Warum Maler häufig schielen

  • Dienstag, 30. Oktober 2018

Rembrandt schielte, Dürer ebenfalls. Bei dem Barockmaler Giovanni Barbieri war der Fehlstand der Augen sogar so deutlich, dass er von Zeitgenossen „il Guercino“ genannt wurde, zu deutsch der Schieler. Auch bei Edgar Degas und Pablo Picasso war ein Strabismus bekannt.

Da der Strabismus in den meisten Fällen Folge einer Schwachsichtigkeit auf einem Auge (Amblyopie) ist, kann vermutet werden, dass diese Künstler ihre Welt nicht wie die meisten anderen Menschen dreidimensional, sondern zweidimensional sahen. Eine Zwei-D-Sicht ist für Maler vorteilhaft, da sie die Welt so sehen, wie sie sie auf ihren ebenfalls zweidimensionalen Bildern wiedergeben.

Bei Leonardo da Vinci, der nicht nur Maler, sondern auch Bildhauer und Architekt war, könnte eine besondere Form des Schielens vorgelegen haben.

Der Ophthalmologe Christopher Tyler von der City University of London hat die Blickrichtung auf sechs Meisterwerken untersucht, von denen man annimmt, dass sie Porträts oder Selbstporträts von da Vinci waren, darunter der vitruvianische Mensch und der Salvator Mundi, der im letzten Jahr für 450 Millionen US-Dollar bei Christie’s versteigert wurde.

In allen sechs Kunstwerken ist auch für Laien eine Fehlstellung des linken Auges zu erkennen, das nach außen blickt. Diese Exotropie ist jedoch bei jedem der Kunstwerke unterschiedlich stark ausgeprägt. In der Bronzefigur des David von Verrocchio, in dem Kunsthistoriker ein Jugendbild von da Vinci erkennen, betrug der Winkel 13,2 Grad, im Salvator Mundi nur 3,17 Grad, in einem älteren Selbstportrait waren es wieder 8,3 Grad. Sollten da Vinci und seine Portraitisten ungenau gearbeitet haben?

Tyler glaubt dies nicht. Er hält es für wahrscheinlicher, dass da Vinci unter einer besonderen Form des Schielens litt, die als intermittierende Exotropie bezeichnet wird. Bei dieser Form ist das Auge nicht schwachsichtig. Das Gehirn hat aber gelernt, die Bilder eines Auges zeitweise zu unterdrücken. Die Patienten werden dadurch in die Lage versetzt, wahlweise zwei- und dreidimensional zu sehen. Dabei kommt es zu einem Wechsel der Blickachse, die die inkonsistente Darstellung der Exotropie erklären könnte.

Da Vinci könnte durch diesen Umstand einen Vorteil vor anderen Malern gehabt haben, was seine rasche Karriere erklären könnte. Es könnte aber auch sein, dass da Vinci und andere Künstler sich des ästhetischen Reizes eines Strabismus bewusst waren. Ein „Silberblick“ weckt oft das Interesse des Betrachters und leichte Abweichungen von der Norm werden häufig als besonders reizvoll empfunden.

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