Die zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit im Jahr 2019: Bedrohung #2 – Nichtübertragbare Erkrankungen
Der „epidemiologische Übergang“ beschreibt die Entwicklung des Spektrums vorherrschender Erkrankungen von den Infektionserkrankungen zu den sogenannten „Wohlstandserkrankungen“, den „nichtübertragbaren Erkrankungen“. Diese Bezeichnung für eine sehr große und heterogene Gruppe von Erkrankungen ist nur ungenau und die verschiedenen Erkrankungen innerhalb dieser Gruppe unterscheiden sich sehr. Und dennoch ist die Zusammenfassung sinnvoll, besonders aus einer Public-Health- und Global-Health-Perspektive, denn die verschiedenen Erkrankungen stehen in einem engen Zusammenhang und die Maßnahmen, die notwendig sind, die verschiedenen Erkrankungen zu kontrollieren, stehen ebenfalls in einem engen Verhältnis zueinander: Während zucker- und kalorienarme Ernährung das Auftreten, die Ausprägung und die Folgen der Zuckerkrankheit positiv beeinflusst, kann sie auch zu einer Gewichtsabnahme und darüber zu einer Reduktion des Risikos von Bluthochdruck und kardiovaskulären Erkrankungen führen.
Mittlerweile sind diese sogenannten „Wohlstandserkrankungen“ zunehmend – in vieler Hinsicht sogar schon überwiegend – ein Problem armer Länder und Gesellschaften sowie armer Bevölkerungsschichten in den verschiedenen Ländern und Gesellschaften. So finden bereits 80 Prozent der globalen Todesfälle infolge nichtübertragbarer Erkrankungen in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen statt. In den reichen Ländern sehen wir ein deutliches Gefälle hin zur Belastung ärmerer und benachteiligter Gesellschaftsmitglieder – Armut macht krank, Krankheit macht arm.
Ungesunde und unausgewogene Ernährung, Übergewicht, fehlende oder unzureichende körperliche Aktivität und Tabakkonsum – viele der Ursachen und Risiken für das Auftreten und Voranschreiten nichtübertragbarer Erkrankungen lassen sich beeinflussen. Die sozioökonomischen Zusammenhänge erschweren jedoch wirksame Maßnahmen. Aufklärung über gesunde Ernährung und Maßnahmen zur Steigerung körperlicher Aktivität sind genauso wichtig wie Kampagnen gegen Tabakkonsum und Werbeverbote für Tabakprodukte. Ebenso bedeutungsvoll ist es jedoch, effektive Maßnahmen gegen Armut und Arbeitslosigkeit zu treffen.
Wir kommen nicht umhin, Ungesundes zu verbieten oder zumindest zu regulieren. Was spricht dagegen, durch empfindliche Besteuerungen von Zucker ab einer bestimmten Konzentration den Zuckergehalt von Softgetränken zu reduzieren? In vielen Bereichen wird bereits gesundheitsbewusstes Verhalten finanziell gefördert – Unternehmen fördern die Fahrt zur Arbeitsstelle mit dem Fahrrad anstelle des Autos durch die finanzielle Förderung des Fahrradkaufs („JobRad“), Krankenversicherungen erstatten die Kosten von Fitnesskursen.
Eine andere Möglichkeit ist, die Eigenheiten, die Trägheit und die Faulheit der menschlichen Psyche zu nutzen, und Gesundes leichter verfügbar zu machen als Ungesundes. Cass Sunstein und Richard Thaler haben mit dem „libertären Paternalismus“, den sie in ihrem Bestseller „Nudge“ vor einigen Jahren vorgestellt haben, einen Weg beschrieben, der mit einfachen Maßnahmen hilft, kluge Entscheidungen zu fördern, dabei jedoch nicht die Freiheit einschränkt, diese klugen Entscheidungen zu übergehen und bewusst andere Entscheidungen zu treffen – paternalistisch und doch liberal. So wie unsere Kinder (und wir auch) an der Supermarktkasse zu Süßigkeiten greifen, an die wir bis dahin gar nicht gedacht hätten, würde eine erleichterte Verfügbarkeit gesunder Nahrungsmittel in vielen Situationen womöglich die Wahl dieser Nahrungsmittel erleichtern oder fördern. Viele von uns essen in Kantinen, in denen das Schokodessert und das Hähnchen mit Pommes in der ersten Reihe stehen und erst weiter hinten der Salat und die Obstschüssel – allein die einfache Umkehrung dieser Verfügbarkeiten kann das Verhalten Einzelner bedeutend beeinflussen.
Nicht eine einzelne Maßnahme, nicht ein einziger Lösungsansatz werden helfen, die Bedeutung nichtübertragbarer Erkrankungen deutlich zu senken. In verschiedenen Ländern, in verschiedenen Gesellschaften begegnen wir unterschiedlichen wirtschaftlichen, kulturellen und gesundheitlichen Voraussetzungen, die unterschiedliche Maßnahmen verlangen. Gerade aber im Hinblick auf die bereits große und noch weiter zunehmende Bedeutung nichtübertragbarer Erkrankungen in Ländern niedriger und mittlerer Einkommen, in denen auch übertragbare Erkrankungen noch eine große Belastung für die Gesundheitssysteme darstellen, müssen wir kreative Ansätze entwickeln und den Mut entdecken, diese einzuführen, umzusetzen und weiterzuentwickeln.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: