Deutsche Wissenschaftler fordern Aufnahmeprogramm für bedrängte US-Forscher

Berlin/Washington – Eine Gruppe hochrangiger deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hat dazu aufgerufen, gezielt um Forschende aus den USA zu werben, die dort unter der Regierungspolitik von Präsident Donald Trump leiden.
Unter dem Motto „Hundert kluge Köpfe für Deutschland“ solle ein Anwerbeprogramm Spitzenpersonal anlocken und so den Wissenschaftsstandort und die Innovationskraft in Deutschland stärken. Der Aufruf wurde heute als Gastbeitrag online im Spiegel und in einer englischen Version auf der Webseite der Hertie School veröffentlicht.
Verfasst haben ihn unter anderem mehrere Mitglieder des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, darunter die Vorsitzende Monika Schnitzer, der Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Moritz Schularick, und die Leiterin der Hertie School in Berlin, Cornelia Woll.
Sie schlagen ein „Meitner-Einstein-Programm“ vor, um unter dem Dach der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und finanziert vom Bundesforschungsministerium (BMBF) bis zu 100 Professuren einzurichten.
Der Name des Programms erinnert an Lise Meitner und Albert Einstein. Sie flohen in den 1930er-Jahren angesichts des Aufstiegs und dann der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus Deutschland und setzten danach in den USA und anderen Ländern ihre wissenschaftliche Arbeit fort.
„Das Exil von Meitner und Einstein ist symbolhaft für eine Erfahrung, die prägend und tragisch für die deutsche Wissenschaftslandschaft ist: Durch Intoleranz, Repression und Vertreibung verlor Deutschland viele seiner klügsten Köpfe“, heißt es in dem Gastbeitrag.
Seither siedelte sich stets ein hoher Anteil der weltbesten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA an, angelockt von dortigen Netzwerken, hohem Prestige, dem Versprechen auf wissenschaftliche Freiheit und großzügige Forschungsmittel.
„Nun bekommt das Bild der US-amerikanischen Wissenschaftslandschaft Risse, da die Trump-Regierung Studierenden mit Ausweisungen droht, viele Finanzmittel sperrt und inhaltliche Prioritäten diktiert“, heißt es weiter. Universitäten würden mit der Drohung des Entzugs von Fördermitteln unter Druck gesetzt. Dies alles sei „ein enormes Risiko für alle Länder der Welt“, weil so „eine der weltweit wichtigsten Quellen von Innovation“ beschnitten werde.
Die Entwicklungen in den USA bedeuteten zugleich jedoch auch „eine Chance für Deutschland und Europa“ heißt es weiter. „Wir können den Braindrain umkehren und dadurch nicht nur unsere eigene Innovations- und Forschungskraft stärken, sondern auch den weltweiten Verlust an Wissensfortschritt abfedern.“ Deutschland könne von den Ideen neu gewonnener Spitzenkräfte enorm profitieren.
Dies sei jedoch kein Selbstläufer, da die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst über gute Netzwerke verfügten und in der Regel sehr gut bezahlt würden, warnen die Autorinnen und Autoren des Beitrags. „Wir müssen uns strecken und großzügige sowie zielgenaue Pläne erstellen, um Professorinnen und Professoren sowie jüngere Forschende aus den USA anzuwerben“, fordern sie daher.
Das „Meitner-Einstein-Programm“ soll sich demnach an Forschende richten, deren Arbeit in den USA nicht oder nur eingeschränkt fortgeführt werden kann. Zugleich sollte ein Schwerpunkt auf strategischen Zukunftsfeldern liegen, in denen der Innovationsbedarf in Deutschland besonders groß sei.
Genannt werden künstliche Intelligenz und Robotik, klima- und gesundheitsrelevante Forschungsgebiete sowie andere Bereiche der MINT-Fächer. Vor allem solle die Entscheidung über eine Programmteilnahme aber auf Grundlage wissenschaftlicher Exzellenz erfolgen.
US-Forschende: Angriff auf Wissenschaft stoppen
Unterdessen haben US-Forschende der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine in einem offenen Brief ihre Landsleute vor den Folgen der Politik der aktuellen US-Regierung gewarnt. Sie appellierten an die Trump-Administration, den Angriff auf die US-Wissenschaft einzustellen. Den Schaden am Betrieb wieder zu reparieren, könne Jahrzehnte dauern, heißt es in dem Statement, das rund 1.900 Fachleute unterzeichneten.
„Wir sehen in diesem Moment eine echte Gefahr“, schreiben die Verfasser. „Wir senden dieses SOS-Signal, um eine deutliche Warnung auszusprechen“. Der wissenschaftliche Betrieb der USA werde deutlich geschwächt. Das Wohlergehen der Amerikaner und die langjährige Position des Landes als Weltmarktführer in Wissenschaft und Technologie seien durch die Maßnahmen der Trump-Regierung gefährdet.
Das Autorenteam prangert unter anderem Mittelkürzungen für wissenschaftliche Einrichtungen, gestrichene Stipendien und die laufende Überprüfungen von mehr als 50 Universitäten an. Die Trump-Administration übe Zensur aus und zerstöre die für Wissenschaft erforderliche Unabhängigkeit. Sie blockiere Forschungsarbeiten zu aus ihrer Sicht bedenklichen Themen wie dem Klimawandel, und wenn die Ergebnisse ihr nicht gefielen, wie etwa zur Impfstoffsicherheit.
In der Wissenschaftscommunity habe sich inzwischen ein Klima der Angst ausgebreitet, heißt es wörtlich. Forschende tilgten ihre Namen aus Publikationen, gäben Studien auf und entfernten wissenschaftlich korrekte, bei der Regierung aber unbeliebte Begriffe aus Förderanträgen und Studien. Die meisten Forscherinnen und Forscher, Universitäten und Einrichtungen hätten bisher geschwiegen, etwa um ihre Finanzierung nicht zu riskieren.
Nach Columbia nun Harvard im Visier
Wie gestern (Ortszeit) bekannt gegeben wurde, stellt die US-Regierung nun auch Fördergelder in Milliardenhöhe an die Harvard-Universität auf den Prüfstand. Verträge und Bundeszuschüsse im Umfang von insgesamt rund neun Milliarden US-Dollar (etwa 8,3 Milliarden Euro) würden ins Visier genommen, teilten mehrere Behörden in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Die Überprüfung wird demnach eine Task Force zur Bekämpfung von Antisemitismus durchführen. Harvard habe es versäumt, Studierende vor antisemitischer Diskriminierung zu schützen, erklärte Bildungsministerin Linda McMahon. Das habe den Ruf der Elite-Uni gefährdet.
Der Präsident der Universität in Cambridge, Alan Garber, teilte mit, dass ein Stopp der Finanzierung lebensrettende Forschung zum Stillstand bringen und wichtige wissenschaftliche Innovation gefährden würde. Es sei wichtig, Antisemitismus zu bekämpfen. Es handele sich um ein ernstzunehmendes Problem.
„Es ist präsent auf unserem Campus“, schrieb Garber. Die Universität werde mit der Task Force der US-Regierung zusammenarbeiten, um diese über bereits vorgenommene sowie künftige Maßnahmen gegen Antisemitismus zu informieren.
Die US-Behörden wiesen in ihrer Mitteilung darauf hin, dass die Überprüfung auf jene der Columbia-Universität folge. Die renommierte New Yorker Hochschule machte zuletzt Zugeständnisse an die US-Regierung, die weithin als Kapitulation gewertet wurden. Sie erklärte sich bereit, ihre Richtlinien für Proteste, Sicherheitsregeln und die Abteilung für Nahost-Studien umfassend zu überarbeiten.
Zuvor hatte die US-Regierung Druck gemacht mit der Ankündigung, 400 Millionen US-Dollar (etwa 368 Millionen Euro) an Bundesmitteln für die Uni nur bei weitreichenden Änderungen wieder freizugeben. Sie warf der Hochschule vor, jüdische Studierende nicht ausreichend vor Belästigungen und Bedrohungen auf dem Campus geschützt zu haben. Die Uni war im vergangenen Frühjahr zum Schauplatz großer pro-palästinensischer Proteste geworden. Auch an der Harvard-Universität fanden Proteste statt.
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