Präzisionsmedizin könnte Landkarte der Erkrankungen neu zeichnen

Berlin – Durch die fortschreitende Entschlüsselung der molekularen Grundlagen von chronisch-entzündlichen und rheumatologischen Erkrankungen und zunehmender Präzisionsimmundiagnostik könnte künftig die „Landkarte der Erkrankungen neu gezeichnet“ werden.
Gerhard Krönke, Direktor der Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité, Universitätsmedizin Berlin und Eicke Latz, Professor für Experimentelle Rheumatologie an der Charité und Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums Berlin, erwarten gar eine „Revolution der Medizin“.
Diese komme dann zum Tragen, wenn in den nächsten Jahren das immunologische Geschehen in großen Gruppen von Patienten genau charakterisiert werden könne. Von den daraus ableitbaren spezifischen immunologischen Therapien könnten auch viele Patienten profitieren, deren Erkrankungen momentan nicht dem chronisch-entzündlichen und rheumatologischen Formenkreis zuordnet würden, sind die forschenden Ärzte überzeugt.
„Problematisch ist momentan, dass wir die Krankheiten immer noch nach Symptomen einteilen und definieren“, sagte Krönke bei einem Hintergrundgespräch vor der Presse. Durch verstärkte molekulare Diagnostik würden jedoch zunehmend immunologische Erkrankungen als Ursachen für andere Erkrankungen zutage treten.
„Die Präzisionsmedizin erlaubt uns eine andere Charakterisierung der Erkrankungen“, bestätigte Latz. Nach seiner Ansicht steht die bisherige Charakterisierung der Krankheiten geeigneten Therapien oft im Wege. „Bei klinischen Prüfungen fallen viele Medikamente aufgrund einer zu breiten Auswahl von Patientinnen und Patienten durch das Raster“, bedauerte er.
Eine vorherige molekulare Charakterisierung der Patienten könnte das nach seiner Ansicht verhindern. „Auf Dauer können wir es uns als Gesellschaft nicht leisten, Therapien durch die Wahl eines falschen Targets nicht richtig zu gestalten“, sagte er. „Wir müssen weg von der phänotypischen Diagnostik wie zu Virchows Zeiten und hin zu einer Molekulardiagnostik.“
Auch der Einfluss von Lebensstil und Umweltfaktoren auf immunologische Krankheiten sei noch unklar, so Latz. „Auch hier wollen wir kausale Ketten offen liegen. Wir wollen nicht nur Erkrankungen therapieren, sondern diese durch frühzeitige Intervention möglichst ganz verhindern. Wir wollen weg von der reaktiven hin zu einer proaktiven Medizin.“
Latz erforscht seit vielen Jahren, wie das angeborene Immunsystem die Gesundheit erhält und unter welchen Umständen es Krankheiten fördert. Dabei untersucht er insbesondere die molekularen Mechanismen, die zu einer Aktivierung oder Hemmung des Immunsystems führen und wie diese die Entzündungsreaktionen bei verschiedenen Erkrankungen – wie etwa Rheuma, Arteriosklerose oder Alzheimer – beeinflussen.
Dabei geht es ihm aber nicht allein um den Erkenntnisgewinn, sondern auch darum, diesen erfolgreich in neue Behandlungsmethoden zu überführen sowie Maßnahmen der Prävention abzuleiten. Der Immunologe gründete deshalb bereits mehrere Biotechunternehmen, die Forschungserkenntnisse in neue Therapie- und Präventionsansätze für inflammatorische Erkrankungen überführen.
„Unsere Vision ist eine dauerhafte Heilung der Erkrankungen beziehungsweise das Erzielen von medikamentenfreien Remissionen durch zielgerichtete Therapien“, erläuterte Krönke. Diesbezüglich gäbe es noch viel Aufholbedarf, aber auch schon viele Möglichkeiten. „Die Präzisionsmedizin ist momentan noch sehr teuer. Aber auf lange Sicht wird sie und die richtige Patientenauswahl die Medizin wieder günstiger machen“, ist der Internist und Rheumatologe überzeugt.
Seine klinischen Schwerpunkte liegen derzeit vor allem auf systemischen Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise der Rheumatoiden Arthritis oder dem Systemischen Lupus Erythematodes. Hier konnte er durch den Einsatz von molekularer Diagnostik kurative Therapieansätze finden, beispielsweise die Wiederherstellung der immunologischen Toleranz durch CAR-T-Zell-Therapien.
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