Medizin

Akute schlaffe Myelitis: Soziale Distanzierung führt zum Rückgang Polio-artiger Erkrankungen

  • Freitag, 12. März 2021
Enterovirus-D68 (EV-D68). /picture alliance, AP Photo, Cynthia S. Goldsmith, Yiting Zhang
Enterovirus-D68 (EV-D68). /picture alliance, AP Photo, Cynthia S. Goldsmith, Yiting Zhang

Princeton/New Jersey – Die Maßnahmen gegen SARS-CoV-2 haben auch die Ausbreitung von anderen Atemwegserkrankungen gebremst, zu denen das Enterovirus 68 (EV-D68) gehört. In der Folge ist laut einer Studie in Science Translational Medicine (2021; DOI: 10.1126/scitranslmed.abd2400) der erwartete Anstieg der akuten schlaffen Myelitis ausgeblieben, einem Polio-artigen Krankheitsbild.

EV-D68 wurde erstmals 1962 entdeckt, trat danach jedoch nur sporadisch in Erscheinung. Im Jahr 2014 kam es dann in Nordamerika zu einer größeren Epidemie mit 1.153 bestätigten Fällen, die nicht weiter beachtet worden wären, wenn nicht einige Kinder im Anschluss an die Infektion mit akuten schlaffen Lähmungen erkrankt wären, die stark an die Poliomyelitis erinnern.

Wie bei dieser geht die Erkrankung von einer Entzündung des Rückenmarks aus (Myelitis). Die Erkran­kung beginnt meist mit Kopfschmerzen, Fieber und Nackensteifigkeit. Später kommt es zu Lähmungen, die mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Bei einem Befall der Brustkorbmuskulatur kann eine Beatmung notwendig werden. Die Kinder erholen sich meistens. Wie bei der klassischen Polio können jedoch Lähmungen zurückbleiben.

Der Verdacht fiel auf EV-D68, da es entfernt mit dem Poliovirus verwandt ist und die Abfolge der Erkran­kung ähnlich ist. Im Anschluss an einen harmlos erscheinenden Infekt kommt es zu akuten schlaffen Lähmungen.

In den USA ist es seit 2014 alle 2 Jahre zu einer Epidemie gekommen. Erkrankungsfälle wurden auch aus Europa gemeldet. Im Jahr 2016 erkrankten einige Kinder in Bayern und in Niedersachsen. Nach 2018 wurde für 2020 ein erneuter Anstieg der Erkrankungszahlen erwartet. In den USA, wo einige Kliniken ein Register eingerichtet haben, wurden jedoch nur 31 Fälle entdeckt, verglichen mit 153 Fällen im Jahr 2016 und 238 Fällen im Jahr 2018.

Ein Team um Bryan Grenfell von der Universität Princeton in New Jersey führt den ausgebliebenen Anstieg der Erkrankungen jetzt auf die soziale Distanzierung und andere Maßnahmen gegen SARS-CoV-2 zurück, die auch die Ausbreitung anderer Atemwegserkrankungen gehemmt hat. So ist in diesem Winter auch die Grippewelle äußerst milde ausgefallen.

Dass es im letzten Jahr gleichzeitig zu einem Rückgang von dokumentierten EV-D68-Infektionen und von akuten schlaffen Lähmungen gekommen ist, stärkt die bisher unbewiesene Vermutung, dass beide Erkran­kungen in einem kausalen Zusammenhang stehen.

Sollten die Impfungen SARS-CoV-2 auf Dauer zurückdrängen und die soziale Distanz und andere Maß­nah­men fallen, könnte es in den nächsten Jahren wieder zu einem Anstieg der Erkrankungen kommen.

rme

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