Medizin

COVID-19: Kinder in der Lombardei erkranken an atypischem Kawasaki-Syndrom

  • Donnerstag, 14. Mai 2020
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Bergamo − In der frühzeitig und am stärksten von COVID-19 betroffenen Stadt Italiens ist es nach dem Abklingen der Epidemie zu einer Häufung von entzündlichen Erkrankungen bei Kindern gekommen, die sich laut einer Studie im Lancet (2020; DOI: 10.1016/ S0140-6736(20)31103-X) von dem klassischen Kawasaki-Syndrom unterschieden. Ähnliche Fälle sind zuletzt auch in England und den USA aufgetreten.

Das vor beinahe einem halben Jahrhundert von dem japanischen Pädiater Tomisaku Kawasaki beschriebene Syndrom beginnt typischerweise mit hohem Fieber, das über mindestens 5 Tage anhält. Begleitend kommt es zu einem Exanthem, einer Lymphadeno­pathie, Bindehautinjektionen, zu Erythemen und Ödemen an Händen und Füßen und zu Veränderungen der Lippen und Mundschleimhaut. Für die Diagnose des klassischen Kawasaki-Syndroms müssen neben dem Fieber 4 der 5 Kennzeichen vorhanden sein.

Von den 10 Kindern, vor einigen Wochen am Krankenhaus Papa Giovanni XXIII in Bergamo behandelt wurden, erfüllten nur 5 die diagnostischen Kriterien, bei den anderen 5 Kindern waren sie nur teilweise vorhanden. Das Team um Lorenzo D’Antiga spricht vorsichtshalber von einem Kawasaki-ähnlichen Krankheitsbild.

Die Erkrankung von 10 Kindern innerhalb weniger Wochen stellt eine Häufung um den Faktor 30 gegenüber den Erkrankungen aus den letzten Jahren dar. Dies legt nach Ansicht von D’Antiga einen Zusammenhang mit der COVID-19-Epidemie nahe, die nirgendwo in der Lombardei so heftig verlief wie in Bergamo.

Die Forscher ließen deshalb die Kinder auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 testen. Doch der Abstrich war nur bei 2 Kindern positiv. Dies spricht nicht gegen das neue Coronavirus als Auslöser, denn das Kawasaki-Syndrom tritt nicht im Rahmen einer akuten Infektion auf. Es beginnt meist nach dem Abklingen der Erstsymptome.

Experten vermuten, dass es sich um eine entzündliche Reaktion auf die Viruserkrankung handelt. Tatsächlich fielen die Antikörper-Tests bei 8 der 10 Kinder positiv aus. Dies spricht klar für einen Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion.

Die Kinder waren durchschnittlich 7,5 Jahre alt, während das klassische Kawasaki-Syndrom meist im Kleinkindalter auftritt. In einer Vergleichsgruppe von 19 Kindern, die in den letzten Jahren in Bergamo an einem Kawasaki-Syndrom erkrankt waren, betrug das Durchschnittsalter 3,0 Jahre.

Die Erkrankungen der letzten Wochen verliefen deutlich heftiger als normalerweise bei einem Kawasaki-Syndrom: Bei 5 der 10 Kinder kam es zu einem toxischen Schock­syndrom mit einem Abfall des Blutdrucks, der eine intravenöse Volumensubstitution und bei 2 Kindern auch die Gabe von positiv inotropen Medikamenten erforderlich machte.

Bei 6 Kindern wurde im Herzecho eine Störung der Herzfunktion diagnostiziert, bei 2 Kindern wurden bereits Aneurysmen in den Koronararterien beobachtet, die eine typische Spätkomplikation des Kawasaki-Syndroms sind. Bei 5 Kindern war der Troponin-Wert erhöht, was eine Schädigung des Herzmuskels anzeigt.

Die entzündliche Reaktion fiel ebenfalls heftiger aus. Bei 5 Kindern diagnostizierten die Ärzte ein Makrophagen-Aktivierungs-Syndrom, das durch einen Zytokinsturm verursacht wird.

Auch die Behandlung gestaltete sich schwieriger als beim klassischen Kawasaki-Syndrom. Die übliche Behandlung mit intravenösen Immunglobulinen schlug bei mehreren Patienten nicht an. Sie mussten zusätzlich mit Steroiden behandelt werden.

Wie häufig es nach einer SARS-CoV-2-Infektion zu einem Kawasaki-Syndrom kommt, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen, da nicht bekannt ist, wie viele Kinder sich während der Epidemie infiziert haben. Dies werden vermutlich spätere Seroprävalenz­studien zeigen.

In Deutschland wurden bisher keine derartigen Häufungen von Fällen beobachtet, erklärte Johannes Hübner, stellvertretender Leiter der Kinderklinik an der Uni München. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), sei gerade dabei, ein Meldesystem für Verdachtsfälle zu etablieren, erklärte der DGPI-Vorsitzende. Im Moment sei die Situation in Deutschland aber sicher nicht beunruhigend, sagte Hübner gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.

Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) hat dieser Tage mit einer Studie an 6.000 Kindern und Jugendlichen begonnen: „C19.CHILD Hamburg“ soll klären, wie häufig SARS-CoV-2-Infektionen in dieser Altersgruppe sind und wie hoch das Risiko von schweren COVID-19-Erkrankungen ist. In die Studie sollen Daten von gesunden und chronisch kranken Kindern und Jugendlichen mit und ohne Symptome einer COVID-19-Infektion einbezogen werden, die stationär oder ambulant versorgt werden. An der Studie beteiligen sich neben dem UKE auch alle anderen Hamburger Kinderkliniken.

In den letzten Tagen hatten Mediziner aus England und den USA über schwere Erkran­kungen bei Kindern berichtet. Allein in New York sollen 85 Kinder an einem „pediatric multi-system inflammatory syndrome“ erkrankt sein, das bei mindestens 3 Kindern tödlich endete. Die Kinder litten unter hohem Fieber, das begleitet war von einem starken Anstieg der Entzündungsparameter und des Enzyms Troponin.

In Großbritannien hat das „Royal College of Paediatrics and Child Health“ eine Falldefinition veröffentlicht. Sie umfasst neben anhaltendem Fieber und den klassischen Symptomen des Kawasaki-Syndroms auch Entzündungszeichen in Laborbefund (Neutrophilie, erhöhter CRP und Lymphopenie), sowie Anzeichen einer Funktionsstörung einzelner oder mehrerer Organe.

rme

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