COVID-19: Können Pulsoxymeter Patienten zuhause vor stiller Hypoxie warnen?

Philadelphia – Regelmäßige Textnachrichten über das Smartphone können ambulant behandelte COVID-19-Patienten daran erinnern, eine Dyspnoe ernst zunehmen.
Das „COVID Watch“-Programm einer US-Universität könnte nach einer Analyse in den Annals of Internal Medicine (2022; DOI: 10.7326/M21-2019) tatsächlich einigen Patienten das Leben gerettet haben. Die zusätzliche Versorgung mit Fingerpulsoximetern hatte in einer randomisierten Anschlussstudie jedoch keinen Nutzen, wie die jetzt im New England Journal of Medicine (2022; DOI: 10.1056/NEJMc2201541) publizierten Ergebnisse zeigen.
Zu Beginn der Pandemie war Intensivmedizinern aufgefallen, dass einige COVID-19-Patienten trotz ausgeprägtem Sauerstoffmangel keinerlei Luftnot empfinden. Inzwischen ist klar, das diese „happy hypoxia“ oder besser stumme Hypoxie eigentlich keine Besonderheit von COVID-19 ist.
An der Universität von Pennsylvania in Philadelphia wurde bereits im März 2020 (noch bevor „happy hypoxia“ ein Thema war) der telemedizinische Dienst „COVID Watch“ eingerichtet. Ambulante COVID-19-Patienten wurden 2 Mal täglich per Textnachricht kontaktiert. „Wie fühlen Sie sich im Vergleich zu vor 12 Stunden?“ oder „Fällt Ihnen das Atmen schwerer als sonst?“ lauteten die Fragen. Bei einer verdächtigen Rückmeldung wurden die Patienten von einer Pflegekraft angerufen, und nach einer weiteren Befragung eventuell an die nächste Notaufnahme verwiesen.
Das Projekt, das mit wenigen Pflegekräften auskam, hat sich nach einer Analyse von Kit Delgado und Mitarbeitern von der Perelman School of Medicine in Philadelphia als nützlich erwiesen. Von den 3.448 Patienten, die an „COVID Watch“ teilnahmen, starben nur 3 an COVID-19. In einer Vergleichsgruppe von 4.337 Patienten, die nicht teilgenommen hatten, gab es 12 Todesfälle.
Delgado ermittelte in einer „Propensity Score“-Analyse, die nur Patienten mit ansonsten gleichen Eigenschaften verglich, für die ersten 30 Tage eine Odds Ratio von 0,32, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,12 bis 0,72 signifikant war. Das Programm hatte damit 1,8 von 1.000 Patienten (95-%-Konfidenzintervall 0,5 bis 3,1) das Leben gerettet. Bei einer weiteren Auswertung nach 60 Tagen waren es sogar 2,5 weniger Todesfälle pro 1.000 Patienten (0,9 bis 4,0).
Die Teilnehmer von „COVID Watch“ hatten sich im Mittel 1,9 Tage früher in der Notfallambulanz vorgestellt, was die Vorteile erklären könnte. Die Studie selbst kann allerdings aufgrund ihres retrospektiven Designs keine Kausalität herstellen. Das Programm wurde fortgesetzt. Inzwischen haben laut der Klinik mehr als 28.500 Patienten an „COVID Watch“ teilgenommen.
Die guten Erfahrungen motivierten die Mediziner zu einem weiteren Schritt. Ab Ende November 2020 wurden den Teilnehmern zusätzlich Pulsoximeter zur Verfügung gestellt. Die kleinen Geräte, die für wenig Geld angeboten werden (und inzwischen zum Bestandteil von einigen Smartphones geworden sind) messen die Sauerstoffsättigung im Blut und können deshalb auch Patienten mit einer stummen Hypoxie warnen.
Dieses Mal wählte das Team um Delgado das Design einer randomisierten Studie, die den Vorteil zweifelsfrei belegen sollte. Mehr als 2.000 Patienten wurden auf eine alleinige „COVID Watch“-Versorgung oder auf dasselbe Programm mit einem zusätzlichen Pulsoximeter randomisiert.
Primärer Endpunkt war die Anzahl der Tage, die die Teilnehmer in den ersten 30 Tagen lebend und außerhalb der Klinik verbrachten. Anders als erwartet, war die Pulsoxymetergruppe am Ende nicht im Vorteil. Der primäre Endpunkt unterschied sich mit 29,4 Tagen in der Pulsoxymetergruppe und 29,5 Tagen in der Kontrollgruppe nicht wesentlich.
Dabei hatten die meisten Teilnehmer die Geräte auch genutzt: 77,7 % hatten in 30 Tagen im Durchschnitt 9,8 Messwerte übermittelt. Dies hatte dazu geführt, dass es häufiger zu Rückfragen durch das Pflegepersonal kam (3,3 versus 2,4 Anrufe pro Patient). Ein Einfluss auf die Prognose war nicht nachweisbar. Die Zahl der Todesfälle war in der Pulsoximetergruppe mit 5 versus 3 sogar tendenziell höher. Der Unterschied war jedoch statistisch nicht signifikant.
Das Fazit von Delgado lautet, dass vor dem Hintergrund des „COVID Watch“-Programms die Verteilung von Pulsoximetern nicht sinnvoll ist. Die Ergebnisse schließen jedoch streng genommen nicht aus, dass die Selbstmessungen ohne ein „COVID Watch“-Programm einen Nutzen erzielen könnten.
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