COVID-19: WHO rät vom Einsatz von Remdesivir ab – Kortikosteroide nur bei schweren Verläufen

Genf – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht sich in einer aktuellen Empfehlung gegen den Einsatz des Virustatikums Remdesivir aus, auf das zu Beginn der COVID-19-Epidemie große Hoffnungen gesetzt wurden, das dann jedoch in einer größeren randomisierten Studien enttäuscht hat.
Grundpfeiler der Therapie sind nach einer im Britischen Ärzteblatt BMJ (2020; DOI: 10.1136/bmj.m3379) veröffentlichten „Living Guideline“ derzeit Kortikosteroide, die allerdings nur bei schweren Verlaufsformen von COVID-19 sinnvoll sind.
Das Nukleosid-Analogon Remdesivir, das ursprünglich zur Behandlung von Ebolaviren entwickelt wurde, ist seit dem Frühjahr als Mittel bei COVID-19 im Gespräch, weil es auch bei Coronaviren die RNA-Polymerase hemmt, die für die Replikation der Viren benötigt wird.
Die Behandlungsversuche im Rahmen eines Compassionate Use-Programms deuteten auf eine gute Wirksamkeit hin: Bei 2/3 der Patienten konnte der Sauerstoffbedarf gesenkt oder die mechanische Beatmung beendet werden. Die vom Hersteller initiierten SIMPLE-Studien zeigten, dass bereits bei einer verkürzten Behandlungsdauer von 5 statt 10 Tagen eine deutliche Verbesserung gegenüber einer Kontrollgruppe erzielt wurde.
Auch die von den US-National Institutes of Health (NIH) durchgeführte Phase-3-Studie ACTT-1 ergab, dass Remdesivir die Genesung von hospitalisierten COVID-19 Patienten beschleunigen kann. Das Mittel hat daraufhin in den USA, der EU und Japan eine bedingte Zulassung erhalten – in den USA folgte inzwischen eine endgültige Zulassung.
Die Solidarity-Studie der WHO, deren Zwischenergebnisse im Oktober publiziert wurden, konnte die positiven Erfahrungen der früheren Studien jedoch nicht bestätigen. Die 28-Tage-Mortalität war bei den mit Remdesivir behandelten Patienten nicht niedriger als unter einer Standardtherapie. Vor allem bei schwereren Verläufen war Remdesivir nicht in der Lage, den Verlauf der Erkrankungen entscheidend zu beeinflussen.
Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl von 11.266 Patienten, von denen 2.570 mit Remdesivir behandelt wurden, fallen die Ergebnisse der Solidarity-Studie stärker ins Gewicht als die beiden SIMPLE-Studien (596 Patienten), die ACTT-1-Studie (1.063 Patienten) und eine kleinere Studie aus China (237 Patienten).
Die von der WHO mit der „Living Guideline“ beauftragte Expertengruppe der „MAGIC Evidence Ecosystem Foundation“ kommt deshalb zu dem Schluss, dass Remdesivir nicht zur Behandlung von COVID-19 eingesetzt werden sollte. Das Team um Janet Diaz von der WHO-Zentrale schreibt, dass die derzeitige Datenlage zwar nicht die Wirkungslosigkeit von Remdesivir beweise, die Durchführung weiterer Studien sei deshalb zu begrüßen.
Es gebe aber auch keine Hinweise, dass die Behandlung mit Remdesivir zu einer für den Patienten bedeutsamen Verbesserung führe wie etwa eine verringerte Mortalität, einen verminderten Bedarf an mechanischer Beatmung oder eine Verkürzung der Zeit bis zur klinischen Verbesserung.
Die Experten halten es nicht für ausgeschlossen, dass Remdesivir bei Patienten mit leichteren Erkrankungen wirksam sein könnte. Eine Netzwerk-Meta-Analyse habe hierfür Hinweise gefunden, heißt es an einer Stelle. Die Evidenz reiche jedoch derzeit nicht für eine Empfehlung aus.
Bedenken hinsichtlich der Sicherheit von Remdesivir hatten die Experten nicht. Mit zur negativen Empfehlung beigetragen haben dürften die hohen Kosten der Behandlung und die umständliche Anwendung. Die Kosten für eine 5-tägige Behandlung liegen bei etwa 2.000 Euro. Das Mittel muss an den 5 Tagen jeweils per Infusion verabreicht werden. Dies könnte vor allem bei Patienten mit leichteren Erkrankungen ein Hinderungsgrund für eine Behandlung sein.
Im Gegensatz zu Remdesivir sehen die Experten eine Wirksamkeit von Steroiden als erwiesen an. Ausschlaggebend waren hier die Ergebnisse der britischen RECOVERY-Studie, in der die Behandlung mit Dexamethason die Prognose der Patienten verbessert hat. Die Experten kommen in ihrer Datenanalyse zu dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Kortikosteroiden die 28-Tage-Mortalität von kritisch kranken Patienten um 8,7 % und von Patienten mit schwerem COVID-19, die nicht kritisch krank waren, um 6,7 % gesenkt hat.
Für die erste Gruppe wurde ein relatives Risiko von 0,80 ermittelt, das mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,70 bis 0,91 signifikant war. Auf 1.000 behandelte Patienten kämen 87 weniger Todesfälle (95-%-Konfidenzintervall 41 bis 124).
In der zweiten Gruppe (COVID-19 ohne kritischen Zustand) betrug das relative Risiko 0,80 (0,70 bis 0,92). Von 1.000 Patienten würden durch die Behandlung 67 weniger an COVID-19 sterben (27 bis 100).
Im Gegensatz zu Remdesivir muss bei einem Einsatz von Kortikosteroiden mit Komplikationen gerechnet werden. Die Experten schätzen, dass von 1.000 Patienten 46 (23 bis 72) zusätzlich eine Hyperglykämie und 26 (13 bis 41) zusätzlich eine Hypernatriämie entwickeln. Die Nebenwirkungen der Kortikosteroide sind auch der Grund, warum die WHO-Experten von einem Einsatz bei Patienten mit milderen Erkrankungen abraten.
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