COVID-19: Zellatlas liefert Erklärungen für tödliche Verläufe

New York und Boston – Eine COVID-19-Pneumonie wird zur tödlichen Gefahr, wenn die Entzündungsreaktion außer Kontrolle gerät, die Regenerationsfähigkeit der Lungen erschöpft ist und eine beschleunigte Fibrosierung des Gewebes eine spätere Erholung verhindert.
Dies zeigt eine sogenannte Zellatlasanalyse in Nature (2021; DOI: 10.1038/s41586-021-03569-1). Eine weitere Studie in Nature (2021; DOI: 10.1038/s41586-021-03570-8) beschäftigt sich mit den Störungen anderer Organe bei tödlichen Verläufen.
Als Zellatlas bezeichnen Forscher die Kartierung der einzelnen Zellen im Körper. Dabei geht es weniger um die Gestalt unter dem Mikroskopie, als um ihre Funktion. Die Funktion lässt sich aus der Summe der aktivierten Gene ableiten, die als Boten-RNA leicht von der DNA des Erbguts unterschieden werden können. Die Boten-RNA kann heute in einzelnen Zellen untersucht werden, was die Erstellung von Zellatlanten ermöglicht.
Bei einer Erkrankung wie COVID-19 zeigt der Zellatlas, welche Zerstörungen die Viren angerichtet haben und welche Abwehrmaßnahmen der Körper ergriffen hat. Ein Team um Benjamin Izar vom Irving Medical Center in New York hat einen Zellatlas der Lungen von 19 Patienten mit COVID-19 erstellt, die an den Folgen eines Lungenversagens gestorben waren. Die Ergebnisse wurden mit 7 Personen verglichen, die an einer anderen Erkrankung gestorben waren. Für die Analyse wurden insgesamt 116.324 Zellen untersucht.
Der Zellatlas zeigt, dass es in den Lungen der an COVID-19 Verstorbenen zu einer starken Immunreaktion gekommen ist. Im Gewebe wurden zahlreiche Makrophagen gefunden, die offenbar aus den Blutgefäßen, wo sie als Monozyten bezeichnet werden, in das Gewebe eingewandert waren. Die Monozyten selbst werden wie alle Blutzellen im Knochenmark gebildet. Während der Entzündungsreaktion werden diese Zellen vermehrt angefordert.
Makrophagen sind als Bestandteil der angeborenen Immunantwort die 1. Abwehrlinie gegen Viren. Später werden sie von den B-Zellen und T-Zellen der erworbenen Immunabwehr unterstützt. Der Zellatlas zeigt, dass die Makrophagen bei den Patienten zwar die üblichen Interleukine 1 und 6 gebildet hatten, die Reaktion der erworbenen Immunabwehr jedoch vermindert war. Vor allem eine Schwäche der T-Zellen, die mit Viren infizierte Zellen beseitigen sollen, könnte nach Einschätzung von Izar für den tödlichen Ausgang mit verantwortlich gewesen sein.
Zur gleichen Zeit hatten die Viren die meisten Zellen der Alveolen bereits zerstört. Neben den Pneumozyten vom Typ 1 waren auch die Pneumozyten vom Typ 2 verschwunden. Dies weist auf eine schwere Schädigung hin, weil die Typ-2-Pneumozyten das Reservoir bilden, aus denen sich die Typ-1-Pneumozyten regenerieren.
Die schweren Zerstörungen der Pneumozyten rufen eine weitere Zellart auf den Plan, die den freiwerdenden Platz ausfüllt. Das sind die Fibroblasten. Sie wandeln das Lungengewebe in ein Bindegewebe um. Für die Patienten ist dies eine ungünstige Entwicklung, da sie die Sauerstoffaufnahme weiter einschränkt ohne die Aussicht auf eine spätere Regenerierung der Lungen. Eine einmal eingetretene Lungenfibrose ist in der Regel nicht reversibel.
Das 2. Forscherteam hat die Gewebe von 17 weiteren Patienten untersucht, die an COVID-19 verstorben waren. Das Team um Aviv Regev vom Broad Institute in Boston hat in den Lungen die gleichen Veränderungen gefunden wie seine Kollegen. Die Typ-1-Pneumozyten waren weitgehend zerstört, der Versuch, sie durch Typ-2-Pneumozyten zu ersetzen, war gescheitert, was den Impuls zum Bindegewebeumbau der Lungen gegeben hat.
Die Forscher haben neben den Lungen noch das Gewebe von weiteren Organen untersucht, darunter Nieren, Leber und Herz. Dabei fiel auf, dass das Herz zwar erhebliche Schäden aufwies und zahlreiche Muskelzellen untergegangen waren. Die Viren selbst oder ihre Gene waren jedoch nicht vorhanden. Laut Regev ist unklar, ob die Viren zum Zeitpunkt des Todes bereits beseitigt waren oder ob das Herz Kollateralschäden durch eine heftige Immunreaktion erlitten hat.
Die Schädigung der Muskelzellen, die nicht erneuert werden können und wie in der Lunge durch Bindegewebe ersetzt werden, könnte jedoch ein Zeichen für mögliche Spätschäden bei den Patienten sein, die die Infektion überlebt haben.
Die Forscher untersuchten schließlich noch einige Gene, die in früheren genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) mit schwerem Verläufen von COVID-19 in Verbindung gebracht wurden. Von 26 Genen waren 21 in den Zellen der Lungen vermehrt aktiviert. Dies könnte eine plausible Erklärung für die in den GWAS gefundene genetischen Krankheitsanfälligkeit sein.
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