Medizin

„Das Warenhauskonzept ermöglicht eine zeit- und kostensparende Individualisierung therapeutischer Impfstoffe“

  • Donnerstag, 12. Juni 2025

Tübingen – Seit Jahrhunderten spielen Impfungen eine essenzielle Rolle bei der Vorbeugung von Infektionserkrankungen. Heutzutage wird dieser Ansatz auch genutzt, um das Immunsystem gegen Tumorzellen zu richten. Die peptid-basierte Impfung bietet dabei eine immuntherapeutische Option mit geringen Nebenwirkungen, die auf der spezifischen Immunerkennung tumorassoziierter, HLA-präsentierter Peptide (Human Leucocyte Antigen) beruht.

Die Entwicklung personalisierter peptid-basierter Impfstoffe in der Onkologie ist weiterhin eine Herausforderung, Zulassungen gibt es bisher nicht. Neue Ansätze scheinen aber erfolgsversprechend zu sein und könnten diese Situation ändern. Heute steht die peptid-basierte Impfung daher wieder im Mittelpunkt der modernen Immuntherapieentwicklung (Forum 2025; DOI: 10.1007/s12312-025-01459-5).

Juliane Walz, Medizinische Direktorin der Klinischen Kooperationseinheit Translationale Immunologie am Universitätsklinikum Tübingen /Britt Moulien
Juliane Walz /Britt Moulien

5 Fragen an Juliane Walz, Medizinische Direktorin der Klinischen Kooperationseinheit Translationale Immunologie am Universitätsklinikum Tübingen

Welchen Vorteil bietet eine peptid-basierte Immuntherapien in der Onkologie im Vergleich zu bisher angewandten Immuntherapien?
Peptid-basierte Impfstoffe stellen einen nebenwirkungsarmen Therapieansatz dar, bei dem synthetische Tumorantigene in Form kurzer Proteinsequenzen (Peptide) verwendet werden, um das körpereigene Immunsystem und im speziellen die T-Zellen gegen die Tumorzellen zu trainieren. Diese Peptide werden auf der Oberfläche von Zellen über humanen Leukozytenantigen-(HLA)-Molekülen präsentiert. Dies ermöglicht es den T-Zellen, die Tumorzellen als fremd zu erkennen und sie zu zerstören.

Peptid-basierte Immuntherapien bieten zahlreiche Vorteile in der Krebstherapie: Sie sind sehr gut verträglich und können somit auch bei älteren und vorerkrankten Personen eingesetzt werden und eignen sich auch als Kombinationspartner für andere (Immun-)therapien. Ein weiterer Vorteil: Die 9 bis 25 Aminosäuren langen Peptide sind in ihrer Produktion einfach und kostengünstig und benötigen nach der Impfung keine zusätzliche Prozessierung im Patienten oder der Patientin.

Zudem wird durch die simultane Applikation multipler Tumorantigene einer Immunevasion durch Antigenverlust vorgebeugt und die Aktivierung des eigenen Immunsystems gegen die Krebszellen bietet die Chance eines langfristigen Immungedächtnis als Grundlage für eine nachhaltige Bekämpfung von Tumorerkrankungen.

Bei welchen Krebsarten konnte sie bisher zum Einsatz kommen in klinischen Studien?
Peptid-basierte Tumorimpfstoffe wurden und werden aktuell in zahlreichen Tumorentitäten vor allem in Phase-1-2-Studien evaluiert, aber auch in einigen Phase-3-Studien (J Oncol. 2022; DOI: 10.1155/2022/9749363).

Besonders im adjuvanten Setting oder bei minimaler Resterkrankung können Tumorvakzine dazu beitragen, das Auftreten oder den Rückfall einer Erkrankung zu verhindern, da hier ein optimales Verhältnis von Tumorzellen und Effektor-T-Zellen vorliegt. Die Anzahl der Impfungen um eine effektive T-Zellantwort zu induzieren aber auch die zu erwartenden Nebenwirkungen hängen maßgeblich vom verwendeten Adjuvanz und der Impfstoffformulierung ab.

Die Funktion des Adjuvans besteht darin, Peptide vor dem sofortigen Abbau zu schützen, ihre Aufnahme durch antigenpräsentierende Zellen (APZ) zu fördern und die APZ vollständig zu aktivieren. Neben einigen anderen Forschungsgruppen haben auch wir in den vergangenen Jahren eine vielversprechende Adjuvansformulierung entwickelt, die sich bereits in vielen klinischen Studien als sicher erwiesen hat (Nature 2021; DOI: 10.1038/s41586-021-04232-5).

Nach nur 1-3 Applikationen, abhängig von der Fitness des Immunsystems des jeweiligen Patienten, konnten spezifische T-Zellen über mehrere Jahre aktiviert werden. Ebenso konnten wir eine erste klinische Effektivität in verschieden Tumorentitäten belegen (Nat commun 2022; DOI: 10.1038/s41467-022-33746-3; J Immunother Cancer. 2025; DOI: 10.1136/jitc-2024-011366; EHA 2024 Abstract).

Welche Hürden haben bisher einen breiteren Einsatz in der Onkologie verhindert?
Mehrere Herausforderungen verhindern bislang eine breite und erfolgreiche Anwendung therapeutischer Impfstoffe zur Krebsbekämpfung. Zu diesen gehören der Mangel an geeigneten HLA-präsentierten Tumorantigenen, die für eine Vielzahl von Patientinnen und Patienten eingesetzt werden können. Daraus resultiert eine zeit- und kostenaufwändige personalisierte Herstellung von Vakzine-Produkten. Den induzierten T-Zell-Antworten therapeutischer Impfstoffe gelingt es zudem häufig nicht, fortgeschrittene Tumoren zu eliminieren.

Wie könnten diese Probleme behoben werden?
Die Technik der massenspektrometrischen Immunopeptidomanalyse, die mehr und mehr auch in der Routineanalyse kleinster Tumorproben eingesetzt werden kann, bietet die Möglichkeit, natürlich präsentierte HLA-Peptide auf der Oberfläche von Tumorzellen zu charakterisieren.

Dies ermöglicht zum einen die Präsentation Mutations-abgeleiteter Neoepitope zu validieren, eröffnet aber auch eine große Bandbreite neuer Tumorantigene. Dazu zählen beispielsweise Tumor-assoziierte Antigene, die durch veränderte Genexpression und Prozessierung in Tumorzellen entstehen, kryptische Antigene aus nichtkanonischen Genprodukten, therapieinduzierte Antigene und von Pathogenen oder Mikrobiota abgeleitete Antigene.

All diese Antigene wurden teilweise mit hoher Frequenz in einer Vielzahl von Tumorpatienten gefunden und ermöglichen so potenziell einen Off-the-shelf-Einsatz. Das sogenannte Warenhauskonzept ermöglicht hier die personalisierte Impfstoffzusammenstellung auf Basis einer vordefinierten und vorgefertigten Sammlung an Einzelpeptiden (Nature 2019; DOI: 10.1038/s41586-018-0810-y; Front Oncol. 2024; DOI: 10.3389/fonc.2024.1441625).

Die Zusammensetzung des Impfstoffs erfolgt dann individualisiert aus diesen Einzelpeptiden, basierend auf spezifischen Patientenmerkmalen wie dem HLA-Allotyp, dem Mutationsprofil oder den vom Tumor präsentierten Peptiden. Das Warenhauskonzept ermöglicht somit eine zeit- und kostensparende Individualisierung therapeutischer Impfstoffe.

Darüber hinaus, wie oben bereits erwähnt, stellt der Zeitpunkt der Peptid-basierten Immuntherapie einen entscheidenden Faktor dar. Um eine effektive Tumorkontrolle zu erreichen, muss ein optimales Effektor-/Zielzellverhältnis vorliegen. Dies ist insbesondere im adjuvanten Therapiesetting gegeben oder nach einer Remissions-induzierenden Therapie.

Des weiteren können die nebenwirkungsarmen Peptid-Vakzine mit zahlreichen anderen (Immun-)therapien kombiniert werden. Dies bietet zum einen die Möglichkeit, die T-Zell-Antwort weiter zu verstärken aber auch spezifische neue Antigene durch die Kombinationstherapie zu induzieren und so zukünftig in fortgeschrittenen Tumoren eine Wirksamkeit zu erreichen.

Wie ordnen Sie die Chancen ein, dass Peptid-basierte Immuntherapien in den kommenden 5 oder eher 10 Jahren zugelassen und in der Klinik ankommen werden?
Uns stehen heutzutage erstmals alle Werkzeuge und ein umfassendes Wissen zur Verfügung, um effektive Peptid-basierte Immuntherapien zu entwickeln. Aktuell werden zahlreiche Phase-2- und -3-Studien durchgeführt, um den klinischen Benefit, der für verschiedenste therapeutische Tumorimpfungen in frühen klinischen Studien beobachtet wurde, zu validieren. Sollten diese Studien positiv ausfallen wäre eine zeitnahe Zulassung dieses Therapieansatzes möglich.

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